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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Autoren: A.D. Miller
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rosafarbenen Rock schmiegte sich an mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Sie lächelte jenes andere Lächeln, ein asiatisches Lächeln, das nichts bedeutet. Gemeinsam spazierten sie über den Bulwar davon, und ich sah ihnen länger nach, als es sich gehörte.
    *
    Auf dem Bulwar wimmelte es von Trinkern, Pennern und küssenden Liebespaaren. Teenager scharten sich im Schneidersitz um Gitarrenspieler. Es war noch so warm, dass man alle Fenster im Restaurant an der Ecke meiner Straße aufgerissen hatte, um frische Luft zu den Minigarchen und Mittelklassehuren hineinwehen zu lassen, die sich hier gern im Sommer trafen. Ich musste auf der Straße gehen, da eine fantasielose Reihe schwarzer Mercedeskarossen und Hummer-Geländewagen die Bürgersteige zuparkte. Ich bog in meine Straße ein und ging an der senffarbenen Kirche vorbei zu meiner Wohnung.
    Ich schätze, es könnte auch ein anderer Tag gewesen sein – irgendwie scheint das Bild nur zu der Begegnung in der Metro zu gehören, weshalb ich beides in Gedanken zusammenbringe –, meiner Erinnerung zufolge aber fiel mir der alte Schiguli am selben Abend zum ersten Mal auf. Er stand auf meiner Straßenseite, eingepfercht zwischen zwei BMW s wie ein Gespenst aus Russlands Vergangenheit oder wie die Antwort auf jene einfache Rätselfrage, die wissen will, was nicht dazugehört. Mich erinnerte er an die Kinderzeichnung eines Autos: eine Kiste auf Rädern, obenauf eine weitere, kleinere Kiste, in die das Kind vielleicht noch ein Streichholzmännchen am Steuer malte, dazu komische, kugelige Scheinwerfer, in die es in seinem Übermut noch runde Pupillen setzte, um sie wie Augen aussehen zu lassen. Auf die Gelegenheit, so ein Auto kaufen zu können, hatten die meisten Bewohner Moskaus ihr halbes Leben lang gewartet, zumindest wurde einem das ständig erzählt, hatten gespart, sich danach gesehnt und ihre Namen auf Wartelisten gesetzt, nur um dann festzustellen – als die Mauer fiel, sie auf den Fernsehgeräten Amerika empfingen und ihre Landsleute mit den besseren Kontakten plötzlich die neusten Importmodelle fuhren –, dass selbst ihre Träume schäbig gewesen waren. Ohne weiteres ließ sich das zwar nicht mehr sagen, doch war dieser hier vermutlich einmal von rostroter Farbe gewesen. Wie bei einem Panzer nach der Schlacht klebten Dreck und Öl an seiner Karosse – eine dunkle Kruste, die, war man ehrlich, wie das eigene Innere aussah, vielleicht auch wie die eigene Seele, wenn man erst einige Jahre in Moskau lebte.
    Wie so typisch für russische Gehwege ging das Pflaster vor dem Haus unmerklich in die Straße über. Ich lief an Friedhof und Schiguli vorbei, tippte den Sicherheitscode in die Gegensprechanlage und betrat das Gebäude.
    Ich wohnte in einer dieser Moskauer Mietskasernen, ehemals prächtige Villen, die von zum Untergang verurteilten Kaufleuten kurz vor der Revolution gebaut worden waren. Wie die Stadt selbst, hatte das Haus inzwischen aber so viel mitgemacht, dass es längst wie mehrere, irgendwie zusammengeklatschte Bauwerke aussah. Außen hatte man einen hässlichen Fahrstuhl angebracht und oben ein fünftes Stockwerk aufgesetzt, nur das gusseiserne, schnörkelige Originalgeländer der Treppe gab es noch. Die Türen zu den einzelnen Wohnungen waren meist aus axthiebresistentem Stahl, aufgehübscht mit einer Art Lederpolster – eine Mode, die einen glauben lassen konnte, das vornehmere Moskau sei eine Irrenanstalt mit niedriger Sicherheitsstufe. Im dritten Stock drangen der Gestank von Katzenstreu und das Gekreisch russischer Symphoniker im akuten Nervenzusammenbruch aus den Zimmern meines Nachbarn Oleg Nikolaewitsch. Im vierten Stock entriegelte ich die drei Schlösser meiner gepolsterten Tür, betrat die Wohnung, ging in die Küche, setzte mich an meinen kleinen Junggesellentisch und nahm den Busfahrschein mit Maschas Telefonnummer aus der Brieftasche.
    In England hatte ich vor unserer Beziehung nur ein einziges Verhältnis mit einer Frau, das man ernsthaft nennen könnte – mit Natalie –; ich glaube, du weißt über sie Bescheid. Wir kannten uns vom College. Vor jener bierseligen Geburtstagsparty irgendwo in Shoreditch hätten wir allerdings wohl beide nicht geglaubt, dass wir füreinander in Frage kämen. Und ich fürchte, nachdem es mit uns einmal angefangen hatte, fehlte es uns beiden an der nötigen Energie, die Sache wieder zu beenden, weshalb Natalie sechs oder sieben Monate später in meine alte Bleibe zog, obwohl ich mich explizit
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