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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Autoren: A.D. Miller
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gelungen, nicht mehr an sie zu denken. Aber auch nur fast. Es half, dass ich – wie in Moskau damals alle Anwälte aus dem Westen – ziemlich viel zu tun hatte. In Sibirien quoll das schwarze Gold aus dem Boden, und zugleich rollte eine wahre Geldflut über uns hinweg. Ein neuer Schlag russischer Konglomerate zerfleischte sich gegenseitig, und ausländische Banken liehen ihnen die Milliarden, die sie brauchten, um einander aufzukaufen. In unserem Büro trafen sich Banker mit russischen Geschäftsleuten, um ihre Bedingungen auszuhandeln: die Banker mit geweißtem Lächeln und Doppelmanschetten, die stiernackigen Ölmanager, Ex- KGB ler, in zu engen Anzügen und wir, die wir den Papierkram für die Kredite erledigten und unseren Anteil einstrichen. Das Büro befand sich in einem mit Zinnen bewehrten, beigefarbenen Turm am Paweletskaja-Platz, einem Gebäude, das nicht ganz jene Aura mondänen Reichtums verströmte, auf die es der Architekt offenbar abgesehen hatte, trotzdem war es tagsüber das klimatisierte Zuhause für fast die Hälfte aller Auslandsengländer in Moskau. Auf der gegenüberliegenden Seite des Paweletskaja-Platzes war die Metro-Station, Heimstatt von Säufern, Pennern und Kleber schnüffelnden Kindern, armselige, hoffnungslose Gestalten, die den russischen Drahtseilakt nicht geschafft hatten. Metro-Station und Büroturm starrten sich über den Platz hinweg an wie zwei ungleiche Armeen vor einer Schlacht.
    Im Büro gab es eine clevere, neue Sekretärin namens Olga, die figurbetonende Hosenanzüge trug, aus, wenn ich mich nicht irre, Tatarstan stammte und heute längst, da bin ich mir sicher, irgendeine Röhren importierende oder Lippenstift vertreibende Firma leitet und den neuen russischen Traum lebt. Sie hatte dunkelbraune Augen, unglaubliche Wangenknochen, und wir schäkerten gern, dass ich ihr eines Tage London zeigen würde; was aber wollte sie mir im Gegenzug zeigen?
    Etwa Mitte Oktober rief Mascha dann an, und sie fragte mit ihrer knurrenden Stimme, ob ich mit ihr und Katja zu Abend essen wollte.
    »Guten Morgen, Nicholas«, sagte sie. »Hier ist Mascha.«
    Sie hielt es offensichtlich für unnötig zu erklären, welche Mascha am Apparat war, und damit hatte sie recht. Ich spürte, wie ich rot anlief.
    »Hallo, Mascha, wie geht es Ihnen?«
    »Danke, Nicholas, mir geht es gut. Sagen Sie bitte, was haben Sie heute Abend vor?«
    Sie sind schon komisch, findest du nicht, diese ersten Telefonate, wenn man plötzlich mit jenem Menschen redet, der bereits eine Weile im eigenen Kopf lebt, obwohl man ihn doch überhaupt nicht kennt? Diese heiklen Momente, die eine Wende im Leben sein könnten, die alles sein könnten oder auch nichts.
    »Nichts«, antwortete ich.
    »Wir laden Sie zum Abendessen ein. Kennen Sie ein Restaurant, das Mechta Wostoka heißt?«
    ›Der Traum des Ostens‹. Das kannte ich, eines dieser kitschigen Kaukasuslokale, die gegenüber vom Gorki-Park auf großen, verankerten Plattformen im Fluss trieben – ein Restaurantvorschlag, über den man in London die Nase gerümpft hätte, der in Moskau aber sommerliche Spaziergänge am Ufer verhieß, dunkelroten kaukasischen Wein, anderer Menschen Sehnsucht nach sonnigen Sowjeturlauben, stupides Getanze und Freiheit. Sie sagte, sie hätte für halb neun einen Tisch reserviert.
    *
    Am selben Tag, am selben Nachmittag, diesmal bin ich mir sicher, habe ich zum ersten Mal den Kosaken getroffen. Grinsend tauchte er in unserem Büro im neunten Stock des Paweletskaja-Turms auf.
    Wir waren angewiesen worden, ein westliches Bankkonsortium hinsichtlich eines Kredits über fünfhundert Millionen Dollar zu vertreten, der in drei Raten überwiesen und mit einem beachtlichen Zinssatz zurückgezahlt werden sollte. Kreditnehmer war ein Joint-Venture-Unternehmen, zu dem einerseits eine Logistikfirma gehörte, von der wir noch nie gehört hatten, andererseits Narodneft. (Vielleicht erinnerst du dich, über Narodneft gelesen zu haben: Das ist dieses gigantische, staatseigene Energieunternehmen, in das sämtliche Vermögenswerte geflossen sind, die den Oligarchen mit brutalen Methoden vom Kreml abgenommen wurden, meist durch getürkte Prozesse und haltlose Steuerforderungen.) Gemeinsam hatte man vor, eine schwimmende Ölplattform irgendwo in der Barentssee zu errichten – die genaue Lage hat mich, ehrlich gesagt, erst interessiert, als ich selbst hinfahren musste. Dafür war geplant, einen riesigen sowjetischen Tanker fest im Meer zu verankern; eine Pipeline
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