Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
Vom Netzwerk:
einen
Scheidungsfall, der hat seinen Ursprung in einem Fitnesscenter. Der
Ehemann war völlig auf seinen Körper fixiert und hat
darüber Frau und Kinder vernachlässigt. Es würde
mich nicht wundern, wenn dieser Idiot solche Übungen über
sich ergehen lassen würde, um seine Muskelmenge zu
vergrößern.«
    »Muskelmasse«,
korrigierte Dóra automatisch.
    »Meinte ich doch.«
Bragi schaute Dóra in die Augen. »Das Wichtigste an
der ganzen Sache ist, dass wir dadurch bei den Banken einen
Fuß in die Tür bekommen. Die haben sonst immer ihre
eigenen Anwälte oder beauftragen die großen Kanzleien.
Das könnte der Anfang einer lukrativen Geschäftsbeziehung
für uns sein. Ganz zu schweigen von der Abwechslung, die du so
gern mal hättest.«
    Dóra nickte nachdenklich.
Natürlich konnte das vorteilhaft für die Kanzlei sein,
aber Dóra ging viel eher davon aus, dass die Anwälte
der Bank die Grönlandreise einfach abgelehnt hatten und es nur
bei einem Einzelfall bleiben würde. Bei anderen Fällen,
die man vom wohltemperierten Büro aus erledigen konnte,
sähe die Sache bestimmt ganz anders aus. Andererseits wurde
die isländische Wirtschaft von dunklen Wolken
überschattet, und obwohl Dóra die Geschehnisse in der
Finanzwelt nicht so genau mitverfolgte, hatte sie vom Angriff
ausländischen Risikokapitals auf die Krone und von der
bedenklichen Lage verschiedener isländischer Konzerne
gehört. Begriffe, die vor einem Monat noch niemand verstanden
und benutzt hatte, waren jetzt in aller Munde, allen voran
»Leerverkauf« und »wechselseitige
Kapitalverflechtung«. Vieles deutete darauf hin, dass schwere
Zeiten bevorstanden, und die brachten meist mehr Arbeit für
Anwälte, vor allem im Inkassobereich. Obwohl Dóra es
unmöglich fand, Geld einzutreiben, war es sehr wahrscheinlich,
dass sie solche Aufträge mit Freude annehmen würde, wenn
es erst einmal mit der Wirtschaft bergab ging. »Ich
überlege es mir, Bragi.« Höchstwahrscheinlich war
dieses Video irgendein Blödsinn aus dem Internet, der
überhaupt nichts mit den Mitarbeitern von Bergtækni zu
tun hatte. »Am besten informiere ich mich erst mal genauer
über den Auftrag, und wenn dieser Clip das zeigt, was wir
beide denken, dann gehört das zweifellos nicht in meinen
Aufgabenbereich. Dann muss halt die Polizei das
übernehmen.« 
    »Die
grönländische Polizei? Da könntest du genauso gut
einen Sportverein mit den Ermittlungen beauftragen. Ich meine, das
wissen doch alle, dass da grässliche Zustände herrschen.
Und das betrifft die Polizei genauso wie alles
andere.«
    ›Grässlich‹
war ein Wort, das Dóras Mutter oft benutzte, wenn sie sehr
deprimiert war, und Dóra musste einfach grinsen.
»Jedenfalls muss die hiesige Polizei informiert werden. Die
können sich dann mit ihren Kollegen in dem grässlichen
Grönland in Verbindung setzen.«
    Bragi riss die Augen auf.
»Hör mal«, sagte er euphorisch, »du musst
Bella mitnehmen! Sie passt auf dich auf, und wir können hier
gut einige Zeit auf sie verzichten. In Grönland lauern alle
möglichen Gefahren.«
    Bella würde vermutlich eher
dazu beitragen, dass Dóra im Maul eines Eisbären
landete, als sie zu beschützen. »Matthias kommt mit, ich
bin also nicht in Gefahr.« Dóra lächelte
zögernd. »Ich brauche Bella wirklich nicht. Falls ich
überhaupt fahre.«
    »Doch, meine Liebe, du
wirst fahren, und Bella fährt mit!« Bragi war von seiner
Idee hellauf begeistert. »Es ist sogar von Vorteil, wenn sie
nicht hier ist. Ich muss nämlich einiges erledigen. Es
wäre eine große Erleichterung, sie eine Weile los zu
sein.«
    »Für Bella ist kein
Platz mehr im Flugzeug«, behauptete Dóra. »Du
kannst ja einfach die Trennwand aufstellen und sie abschirmen, so
wie du es letztens überlegt hast.« Sie stand auf.
»Und ich werde mich jetzt mal mit diesem Banker
unterhalten.«
    »Und?«, fragte
Matthias gespannt, während er Dóra zum Ausgang der Bank
begleitete. »Was wirst du tun?«
    »Ich werde wohl annehmen.
Aber irgendwie bin ich mir nicht ganz sicher«, antwortete
Dóra. Der Banker hatte sich als junger, schlanker Mann
entpuppt, der so stark nach Rasierwasser roch, dass Dóra
sich beherrschen musste, sich während des Gesprächs nicht
die Nase zuzuhalten. Sie vermutete, dass er absichtlich so
verschwenderisch damit umgegangen war, denn sein Händedruck
war schwitzig, und er wirkte hypernervös. Zwischen den Zeilen
konnte man heraushören, dass seine Zukunft bei der Bank am
selben seidenen Faden hing wie die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher