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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit
Autoren: Jodi Picoult
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hier.« Ich zeigte auf mein Herz, das mir noch immer weh tat. »Guckst du dir im Gerichtssaal nie die Leute an, deren Leben von einem Menschen zerstört wurde, von dem du weißt, daß er todsicher schuldig ist?«
    Stephen griff nach seiner Kaffeetasse. »Auch die muß jemand verteidigen. So funktioniert unser Rechtssystem nun mal. Wenn du so ein Weichei bist, dann geh doch zur Staatsanwaltschaft.« Er zog eine Rose aus dem Mülleimer, knickte die Blüte ab und steckte sie mir hinters Ohr. »Du mußt auf andere Gedanken kommen. Was hältst du davon, wenn wir beide raus nach Rehoboth Beach fahren und ein bißchen schwimmen gehen?« Er beugte sich näher zu mir und fügte hinzu: »Nackt.«
    »Sex ist kein Seelenpflaster, Stephen.«
    Er machte einen Schritt zurück. »Entschuldigung, wenn ich das vergessen habe. Es ist schon so lange her.«
    »Darüber will ich jetzt nicht diskutieren.«
    »Da gibt’s auch nichts zu diskutieren, El. Ich hab schon eine zwanzig Jahre alte Tochter.«
    »Aber ich nicht.« Die Worte schwebten in der Luft, so zart wie eine Seifenblase, kurz bevor sie platzt. »Hör mal, ich kann ja verstehen, daß du die Sterilisation nicht rückgängig machen lassen willst. Aber es gibt andere Möglichkeiten –«
    »Nein, gibt es nicht. Ich werde nicht zusehen, wie du Kataloge von Samenspendern durchblätterst. Und ich will auch nicht, daß eine Sozialarbeiterin mein Leben durchforstet, um zu entscheiden, ob ich es wert bin, irgendein chinesisches Kind großzuziehen, das man auf einem Berg ausgesetzt hat.«
    »Stephen, es reicht! Halt den Mund!«
    Zu meiner Verblüffung verstummte er augenblicklich. Er setzte sich, verstockt und wütend. »Das war überflüssig«, sagte er schließlich. »Wirklich, das war unter der Gürtellinie.«
    »Was denn?«
    »Wie du mich bezeichnest, verdammt. Als alten Hund.«
    Ich sah ihn an. »Ich hab gesagt: Halt den Mund .«
    Stephen blickte verblüfft, dann fing er an zu lachen. »Halt den Mund – meine Güte! Ich hab dich falsch verstanden.«
    Wann hast du mich das letzte Mal richtig verstanden, dachte ich, aber ich konnte es mir gerade noch verkneifen.
    Die Kanzlei von Pfister, Crown und DuPres lag im Zentrum von Philadelphia und erstreckte sich über drei Etagen eines Wolkenkratzers aus Glas und Stahl. Ich brauchte eine Ewigkeit, um die passende Garderobe für das Gespräch auszusuchen. Schließlich entschied ich mich für ein Kostüm, in dem ich, wie ich fand, am selbstbewußtesten aussah. Ich trank eine Tasse koffeinfreien Kaffee, ging im Geist die Strecke durch und machte mich eine Stunde vor dem vereinbarten Termin auf den Weg, obwohl die Entfernung nur fünfzehn Meilen betrug.
    Um Punkt elf Uhr schob ich mich hinter das Lenkrad meines Honda. »Seniorpartner«, murmelte ich. »Und alles unter 300 000 Dollar pro Jahr ist inakzeptabel.« Dann setzte ich meine Sonnenbrille auf und fuhr Richtung Highway.
    Ich legte eine Kassette ein und ließ die Bässe dröhnen, so laut, daß ich bei einem riskanten Spurwechsel kaum das wütende Hupen des Pick-up hörte, den ich geschnitten hatte.
    »Hoppla«, murmelte ich und schloß beide Hände fester ums Lenkrad. Fast im selben Augenblick ruckte es unter meiner Berührung. Ich umklammerte es, doch der Wagen bockte um so heftiger. Nackte Panik schoß mir von der Kehle in den Magen, blitzartig, wie die Erkenntnis, daß irgend etwas ganz furchtbar falsch gelaufen ist. Im Rückspiegel sah ich den Pick-up bedrohlich näher kommen, hörte das wütende Hupen, während mein Auto mit einem letzten Stottern mitten auf der dicht befahrenen Schnellstraße stehenblieb. Ich schloß die Augen, wartete auf den Aufprall, der nicht kam.
    Dreißig Minuten später zitterte ich noch immer. Ich stand neben Bob, dem Namensgeber von Bob’s Auto Service, und er versuchte mir zu erklären, was mit meinem Wagen passiert war. »Der ist praktisch geschmolzen«, sagte er und wischte sich die Hände an seinem Overall ab. »Die Ölwanne hat ein Leck, der Motor hat sich festgefressen, und die ganzen Innereien sind zusammengepappt.«
    »Und wie kriegt man die wieder auseinander?«
    »Überhaupt nicht. Man kauft ’nen neuen Motor. Sie müssen mit fünf- bis sechstausend rechnen.«
    »Fünf- bis sechs…« Der Mechaniker wandte sich ab. »He! Und bis dahin?« Bob ließ den Blick über mein Kostüm, meine Aktentasche, meine Pumps wandern. »Besorgen Sie sich ein paar Joggingschuhe.«
    Ein Telefon begann zu klingeln. »Wollen Sie nicht rangehen?« fragte der Mechaniker,
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