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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder
Autoren: Manfred Böckl
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der Hofstätte zu; als sie das Anwesen erreichten, keuchten sie gequält. Sie stolperten ins Haus, mit einem Fußtritt warf der Mann die Tür zu; gleich darauf lagen die beiden völlig entkräfteten Alten auf ihrer ärmlichen Bettstatt und rangen nach Atem. Es dauerte lange, bis sie sich soweit erholt hatten, daß sie sich wie schutzsuchend aneinanderzudrängen vermochten. Die Finger des Mannes verflochten sich mit denen seiner Frau, und mit diesem Halt – dem letzten, der ihnen geblieben war – glitten sie hinein in ihren röchelnden, von Angstträumen gestörten Schlaf.

Die dritte Vision
Der Geist Gottes
     
    Den Schwarzen Regen herauf, vorüber an schleimbedeckten Tümpeln, hitzeflirrenden Sandflächen und gezackten Sprüngen im Felsboden, kam der Wanderer. Sein einer Fuß war schmutzig, verschrammt und nackt; der andere steckte in einem wadenhohen Stiefel mit breiter, umgeschlagener Stulpe. Auf ausgemergeltem Körper, der sich jedoch so gelenkig bewegte wie der eines Akrobaten, saß das klobige, wegen des mächtigen Vollbartes alttestamentarisch anmutende Haupt des Mannes. Unter wulstigen Brauen blitzten ein braunes und ein blaues Auge; das dichte, verstaubte Haar des Wanderers wucherte wild nach allen Seiten. Die Nase des Mannes war breit und fleischig, und ihre Flügel blähten sich ununterbrochen wie witternd im grobporigen Gesicht. Die dünnen Lippen des Wanderers kräuselten sich gelegentlich, als würde lautloses Lachen über sie hinspielen; jedesmal aber veränderte sich der Gesichtsausdruck des Mannes gleich darauf jäh, und dann schien sich sein Mund wie in stummer Pein zu verzerren. Um die Schultern des Wanderers hing ein zerschlissener Radmantel, dessen Kunstfasergewebe in allen Farben des Regenbogens schillerte; wenn der glühende Wind unter den knallbunten Umhang fuhr und ihn aufblähte, glich der Mann einem riesigen, dahinflatternden Kolibri.
    An einem dicken Strick zog der Wanderer ein zweirädriges Wägelchen hinter sich her, auf dessen Ladefläche ein bombenförmiges Objekt aus grauem Stahl festgezurrt war. Der langgestreckte, bauchige Metallkörper wirkte bedrohlich, doch wurde dieser Eindruck durch zwei aufgemalte Ornamente gemildert: ein dreieckiges ,Auge Gottes’ sowie eine weiße Friedenstaube. Am oberen Ende des Stahlgebildes war etwas Ähnliches wie eine Tauchermaske befestigt; an ihr wiederum baumelte ein Rosenkranz mit schweren, grünen Glaskugeln, und das silberne Kruzifix des Perlenkranzes hing so weit nach unten, daß es manchmal im Staub schleifte, wenn die Wagenräder besonders tief in den zundertrockenen Erdboden einsanken.
    Stunde um Stunde folgte der Wanderer den Windungen der ausgedörrten Flußniederung – schließlich erblickte er jenseits einer Talbiegung das uralte Einödanwesen. Überrascht blieb der Mann stehen; der Karrenstrick entglitt seiner Hand und fiel auf einen Staubflecken, in den sich haarfeine Spuren von Heuschreckenbeinchen eingegraben hatten. Nachdem er seine erste Verblüffung überwunden hatte, hob der Wanderer die Rechte, beschattete seine Augen und spähte lange zu dem einschichtigen Hof hinüber. Endlich nickte er langsam und seufzte dabei wie in grenzenloser Erleichterung. Mit dem nächsten Lidschlag bückte er sich, um den Zugstrick wieder aufzunehmen – und dann, während er sein Wägelchen weiterzog, stieß er in beinahe ekstatischem Tonfall hervor: „Rauch steigt aus dem Schornstein! Menschen hüten ein Feuer! Herr, du hast wahrlich ein Wunder gewirkt!“
    In der Tat kräuselte ein dünner Rauchfaden aus dem Kaminschlot des Bauernhauses, über dessen Dach die schwere Mittagsschwüle brütete.
    Das betagte Paar hatte im Ofenloch des alten Küchenherdes ein Holzfeuer angeschürt, damit die gestern erbeuteten Heuschrecken geröstet werden konnten. Jetzt wuselten die Leiber der Insekten, ganz so, als seien sie noch lebendig, in der heißen Eisenpfanne durcheinander; bäumten sich wie zu kraftvollen Sprüngen auf oder platzten wie unter hektischen Verrenkungen auseinander. Über der Pfanne hing die strenge Ausdünstung von harzzähem Bindegewebe und angekohltem Chitin; ein etwas angenehmerer Hauch von Fettgeruch mischte sich darein. Der Einöder und sein Weib standen beim Herd; beide starrten gierig auf das fast blasphemisch sich bewegende Gemenge in der Bratpfanne. Wieder troff der Frau ein Speichelfaden über das spitze Kinn, und einmal mehr zuckten die strangartigen Kiefermuskeln des Mannes auf beinahe animalische Art.
    Nun wandte die Alte den
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