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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder
Autoren: Manfred Böckl
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Kopf und schaute kurz zum Eßtisch hinüber, auf dem sie zuvor schon eine Schüssel mit dem seit gestern aufgequollenen, säuerlich riechenden Wurzelbrei abgestellt hatte – und unmittelbar darauf hämmerte es von draußen dreimal hart gegen die Tür. Erschrocken fuhren der Einödbauer und sein Weib zusammen; der Mann stieß mit dem Ellbogen gegen den Pfannenstiel, so daß die Eisenpfanne vom Herd zu stürzen drohte. Doch die Frau verhinderte das Unglück, indem sie hastig zugriff und die Pfanne wieder zurechtrückte, ehe sie sich zitternd hinter dem Rücken ihres wie gelähmt dastehenden Gemahls versteckte.
    In der Bratpfanne barst knallend ein Chitinpanzer; im nächsten Moment erklang neuerlich das Klopfen an der Küchentür – und jetzt stammelte das entsetzte Weib einen Bannspruch in Richtung der Tür: „Alle guten Geister… loben Gott, den Herrn! Weiche von uns… Satan! Im Namen… der heiligen Dreifaltigkeit… und der Muttergottes!“
    Aber im selben Augenblick bewegte sich die Türklinke. Die Küchentür wurde zunächst einen Spalt weit geöffnet und dann ganz aufgestoßen; feixend trat der Wanderer ein und sagte zu dem verstörten Paar: „Ihr vertraut auf den Herrgott und dazu auf die Madonna, meine Freunde – und das ist höchst verdienstlich!“
    Diese Worte nahmen den beiden Alten ein wenig von ihrer Furcht. Ihre Gesichter entspannten sich etwas; die Frau wagte sich halb hinter dem Rücken ihres Gemahls hervor – doch noch immer starrte das Paar auf den Fremden, als sei er nicht von dieser Welt.
    Der Wanderer andererseits schien nun plötzlich keinerlei Interesse mehr an den Hofbewohnern zu haben. Vielmehr drehte er sich jetzt abrupt um und zerrte seinen Karren, auf dessen Ladefläche das bombenförmige Stahlobjekt lag, am Strick in die Küchenstube. Die eisenbeschlagenen Räder polterten über die ausgetretenen Bodendielen; ein Stück seitlich des Kochherdes und des betagten Paares blieb der Fremde stehen und fixierte den Einöder und dessen Weib nun wieder mit scharfem Blick. Dann auf einmal bückte er sich, löste den Rosenkranz mit den grünen Glaskugeln von der seltsamen Maske, welche an dem Stahlgebilde befestigt war, und streckte den beiden Alten den Perlenkranz mit einer Geste entgegen, als würde er ihnen etwas außerordentlich Wertvolles präsentieren.
    „Heilige Mutter Gottes!“ stieß die Frau ergriffen hervor.
    „Wer, zum Teufel, bist du?!“ fuhr ihr Gemahl fast aggressiv auf den Wanderer los.
    Schalk blitzte im blauen, Schmerz im braunen Auge des Fremden auf. Seine dünnen Lippen bewegten sich lautlos; er schien nach Worten zu ringen – schließlich erwiderte er: „Ich bin ein Narr und ein Gottsucher.“
    In der Pfanne auf dem Herd zerplatzte knallend ein Heuschreck; einen Herzschlag später flüsterte die Alte, jetzt erneut verängstigt, ihrem Mann zu: „Er ist irrsinnig!“
    „Ja!“ versetzte der Wanderer. „Ich bin verrückt – und ich bin weise. Ein Narr und ein Gottsucher. Ein blaues und ein braunes Auge. Und ich bringe euch den Geist Gottes!“
    Mit der Hand, in der er den Rosenkranz hielt, hämmerte er auf das graue Stahlobjekt mit dem Dreiecksauge und der weißen Friedenstaube. Hart klirrte der Perlenkranz gegen das Metall; eine der grünen Glaskugeln zersplitterte – und wie in einer irrationalen Reaktion darauf wiederholte der Fremde schreiend: „Den Geist Gottes bringe ich euch!“
    „Sitz nieder!“ wies ihn der Einödbauer barsch zurecht. „Und brüll nicht herum von Gott! Der ist tot wie die Wälder, wie das ganze Land! Weißt du das nicht?!“
    „Ich bin durch all die Ländereien gezogen“, antwortete der Wanderer. „Und ich habe gesehen, wie die Erde unter vergiftetem Firmament stirbt und zu taubem Gestein und totem Staub wird. In den Flüssen, wo noch Flüsse sind, kreischen die Fische vor Pein. In den Städten, wo noch Städte sind, tanzen die Menschen den apokalyptischen Reigen. Sie saufen, prassen und bespringen sich geil, als könnten sie trotz allem neues Leben zeugen; in Wahrheit aber taumeln sie gleich den von äußerster Verzweiflung gepackten Opfern der alten Pestzeiten aus ihrem grauenhaften Dasein. – Und dennoch“, die Stimme des Fremden überschlug sich fistelnd, „bringe ich euch, während die Welt untergeht, den Geist Gottes!“
    „Sitz nieder!“ forderte der Einödbauer den Wanderer ein zweites Mal auf. „Sitz nieder, obwohl mit dir nicht vernünftig zu reden ist. Bist wirklich ein Narr – doch Hunger wirst du wohl
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