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Die Eingeschworenen Raubzug

Die Eingeschworenen Raubzug

Titel: Die Eingeschworenen Raubzug
Autoren: Low Robert
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kommen.
    Zunächst hatte man erleichtert aufgeatmet, als der Bär fort war, doch bei dem Gedanken, dass dieses Ungeheuer jetzt frei herumlief, hatte bald große Besorgnis um sich gegriffen. Gudleif und Bjarni und Gunnar Raudi hatten das Tier ein ganzes Jahr gesucht, ohne Erfolg. Sie hatten vielmehr noch einen guten Hund dabei verloren.
    Die Worte stiegen in mir hoch, drängten sich wie Betrunkene, die alle gleichzeitig zur Tür eines brennenden Hauses hinauswollten. Da war er, mein Vater, und nicht ein Wort darüber, wo er die ganze Zeit gewesen war! Oder
warum er mich so lange allein gelassen hatte, oder wie und wo wir gelebt hatten in den fünf Jahren, ehe er mich hierher brachte. Und auch kein Wort darüber, dass er es schließlich war, der diesen verfluchten Bären überhaupt erst angeschleppt hatte.
    Es war zum Verrücktwerden. Mein Mund öffnete und schloss sich wie bei einem frisch gefangenen Dorsch. Doch er begriff noch immer nicht, sondern schlug mir nur auf die Schulter und sagte in barschem Ton: »Kannst du gehen? Einar ist im Haus und will dich sehen.«
    Einar soll krepieren, hätte ich am liebsten gerufen. Und du genauso. Freydis ist tot wegen deines verfluchten Bären und weil du nicht da warst, um zu entscheiden, was mit ihm geschehen soll, bis jemand die Nase voll von dem Biest hatte und es laufen ließ. Wo warst du? Erzähl mir von meiner Vergangenheit, von meiner Mutter, woher ich komme! Ich weiß nichts über mich.
    Stattdessen nickte ich nur und stand schwankend auf. Er kniete vor mir und half mir, mich anzukleiden, Hose und Schuhe, Kotte und Tunika, während ich mich auf ihn stützte und spürte, wie muskulös und drahtig er war.
    Er roch nach Schweiß, Leder und nasser Wolle, und aus der Halsöffnung seiner Tunika wucherte Haar in gelockten Büscheln, überall, und es war dunkler als das Haar auf seinem Kopf und am Kinn.
    Doch meine Gedanken ließen mich nicht los, sie kreisten und schrien ununterbrochen, wie Seeschwalben um einen frischen Fang. Ich dachte an die Jahre, die zwischen uns und dem Wyrd des weißen Bären lagen. Wie lange war es her, dass er sich befreit hatte? Sechs Jahre? Vielleicht acht?
    Doch in diesem Winter hatte er mich gesucht, hatte
mich irgendwie aufgespürt und hatte mir – durch seinen Tod – meinen Vater wiedergegeben, wie ein Opfer, das man Odin bringt.
    Das Wyrd ließ mich erschauern. Die drei Schwestern, die Nornen, die den Schicksalsfaden eines jeden Menschen spannen – sie hatten angefangen, meinen Lebensfaden zu einem merkwürdigen Teppich zu verweben.
    Ich zog meinen Gürtel fest und mein Vater, nachdem er mir die Beinwickel angelegt hatte, richtete sich auf, hielt mir Bjarnis Schwert hin. Es war vom Blut gereinigt und sauberer als zuvor, denn es waren weniger rote Flecken darauf als damals, als ich es gestohlen hatte.
    »Es gehört mir nicht«, sagte ich halb beschämt, halb trotzig. Er neigte den Kopf zur Seite wie ein Vogel, und ich erzählte ihm meine Geschichte.
    Das Schwert hatte Bjarni gehört, der viele Jahre Gudleifs Rudergenosse gewesen war. Er und Gudleif hatten mich gelehrt, wie man damit umgeht, bis Gunnar Raudi es eines Tages nicht länger ausgehalten hatte. Er hatte es genommen, vor sich auf den Boden gespuckt und mir gezeigt, wie man es in einem wirklichen Kampf einsetzt.
    »Wenn du vor einem Schildwall stehst, Junge«, hatte er gesagt, »dann vergiss die eleganten Hiebe. Ziel auf ihre dreckigen Füße. Hau sie ihnen an den Knöcheln ab. Dann ramm es nach oben, unter den Schild und unters Kettenhemd, direkt in die Eier. Das ist sowieso der einzige Körperteil, den du erreichst.«
    Und dann zeigte er mir, wie man den Schwertgriff zum Kampf einsetzen kann, außerdem den Schild, die Knie, die Ellbogen und die Zähne, während Gudleif und Bjarni ganz still dabeistanden.
    Damals begriff ich, dass sie vor Gunnar Raudi Angst
hatten. Später erfuhr ich – natürlich von Halldis –, dass Gunnar in Björnshafen lebte, seit er Bjarni und Gudleif das Leben gerettet hatte, in Dyfflin, wo sie an einem völlig missratenen Raubzug teilgenommen hatten. Alle dachten, sie seien tot, und dann, zwei Jahre später, tauchten sie wieder auf, mit einem gestohlenen Schiff. Sie machten Sklaven und überall erzählt man sich Geschichten von Gunnars Wagemut. Die beiden verdankten ihm ihr Leben und schuldeten ihm eine Bleibe, solange er atmete.
    »Ich habe es Gudleif gestohlen«, gestand ich meinem Vater, »als mir klar war, dass er nichts sehnlicher wünschte, als dass
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