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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter
Autoren: James Morrow
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Formulare heraus. Kohlepapier dazwischen wie Scheiben von schwarzem Käse. »Auf jeden Fall brauchen wir Ihre Unterschrift auf dieser Embryo-Abtretung. Wir sind nicht von gestern. Wir wissen, was für komische Gedankenverbindungen die Leute hierzulande herstellen. Letztes Wochenende brauchte ich geschlagene zwanzig Stunden, um eine Leihmutter zu überreden, das Neugeborene den Eltern auszuhändigen.«
    Murray nahm das Abtretungsformular. Ein Baby, dachte er. Irgendwer hatte ihm ein Baby geschenkt. Er hatte sich vor Krebs gefürchtet, und dann war es ein Baby. »Wenn ich unterschreibe, heißt das, daß ich…«
    »… daß Sie auf alle Rechte an dem Zellhaufen verzichten. Nicht daß sie irgendwelche hätten! Juristisch gesehen, geht’s nur um eine Samenspende.«
    Frostig zückte die Füllfeder wie einen Dolch. »Aber das Ei da ist eine wirklich wilde Sache. Momentan nennen wir’s inverse Parthenogenese. Hat’s auf der ganzen Welt noch nicht gegeben. Denn wenn man die ganzen Schutzmechanismen in Betracht…«
    »Inverse Partheno… was?«
    Etwas Nochniedagewesenes, dachte Murray. Das Gefühl dabei war auch neu. Seltsames Amalgam aus Verwirrung, Furcht und dem süßlich-warmen Gefühl, das er unwillkürlich jungen Hunden entgegenbrachte.
    »Bei der normalen Parthogenese kommt ein Ei ohne Befruchtung in die Meiosephase. Abnormal, aber gut dokumentiert. Das hier ist Samenentwicklung ohne Ei.« Frostig ließ die Finger über der Schlauch gleiten, der die Gebärmutter mit Blut versorgte. Er überprüfte ihn auf Knicke. »Offen gestanden, es kommt uns gespenstisch vor.«
    »Gibt es irgendeine wissenschaftliche Erklärung?«
    »Wir werden sicher eine finden.«
    Murray studierte das mit unverständlichem Zeug bedruckte Abtretungsformular. Wollte er wirklich ein Baby? Würde ein Baby nicht seine Bücher aus den Regalen reißen? Wo kriegt man überhaupt Babykleidung?
    Er unterschrieb. Georgina Sparks Freundin hatte recht: Babies waren grotesk. »Was passiert mit dem Zellhaufen?«
    Frostig schnappte sich das Abtretungsformular und legte es auf den Schreibtisch. »Die Frösche bringen wir normalerweise bis ins zweite Drittel der Tragzeit, die Mäuse ein bißchen länger. Interessante Daten kriegen wir erst, wenn wir sie opfern.«
    »Opfern?«
    »Ektogenesemaschinen sind noch ziemlich unvollkommen. In einem Jahr vielleicht – aber auch nur vielleicht – schaffen wir’s mit einer Katze bis zur Geburt.«
    Auf dem Weg zur Tür zog Frostig ein sterilisiertes Heringsglas aus dem Durcheinander. »Es macht Ihnen doch nichts aus? Karnstein hätte noch gern eine Probe, wenn Sie schon hier sind.«
    »Der Zellhaufen.« Murray nahm das Glas entgegen. »Welches Geschlecht?«
    »Was?«
    »Junge oder Mädchen?«
    »Kann mich nicht erinnern. Weiblich, glaub ich.«
    In Träumereien versunken betrat Murray den Spendenraum; ein sanfter Mahlstrom von Kinderbetten, Stofftieren und seltsamen Kinderbüchern seiner Lieblingsautoren geisterte in seinem Kopf… Welche Art Kinderbuch hätte Kafka wohl geschrieben? (»Gregor Samsa hatte heute einen richtigen Pfui Teufel! Morgen…«) Er starrte auf Miss Oktober 1968. Meiose war offensichtlich das letzte, woran sie dachte. Opfern. Sie gehen hin und töten sein Embryo. Töten? Nein, ein zu hartes Wort. Am Preservations-Institut machen sie Wissenschaft, das ist alles. Er schaute auf seine Uhr. Fünf Uhr siebzehn. Sie gehen hin und schlachten sein kleines Mädchen mit einem Skalpell. Zerreißen es Zelle für Zelle. Dr. Frostigs Leute waren vielleicht schon weg. Eigentlich war die Sache ganz einfach: wenn das Labor verschlossen war, würde er heimgehen. Wenn nicht, dann nicht. Er durchquerte die Halle und drückte auf den Knopf. Die Tür schwang auf. Was sollte er mit einem Baby anfangen? Zwielicht sickerte durch das hohe Laborfenster. Die Blasen in der gläsernen Gebärmutter gluckerten im Gleichtakt mit seinem Herzschlag. Er machte Licht, packte die hölzerne Plattform samt Aufbau und schwankte in die Halle zurück. Ein Baby. Verdammt, er hatte ein Baby auf dem Arm.
    Er schlüpfte in den Spendenraum und stellte die Maschine direkt unter dem pelzigen Dreieck von Miss Juni 1972 ab. Besser etwas warten, bis die Apokalyptiker weg sind. Wenn nach deren Begriffen schon künstliche Befruchtung Sünde war, würde sie bei inverser Parthogenese der Schlag treffen.
    Er überprüfte die Plastikschläuche auf Knicke, wie es Frostig vorgemacht hatte. Was gab ihm die Gewißheit, damit durchzukommen? Würden sie ihn nicht
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