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Die Ehre der Slawen

Die Ehre der Slawen

Titel: Die Ehre der Slawen
Autoren: Unbekannt
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Nachtlager, zog ein großes Kissen heraus und kehrte damit zu seinem braven Geschichtenerzähler zurück. Vorsichtig stopfte er es dem alten Stari hinter Kopf und Rücken, damit das kalte Gemäuer nicht zu sehr an seinen müden Knochen zerrte. Dann drehte er sich dreimal mit weit ausgebreiteten Armen im Kreise und überlegte, was er bis zur Schlafenszeit noch unternehmen könnte. Am interessantesten wäre es, wenn er den Kaiser mit seiner Gesellschaft ein wenig belauschte. Bestimmt ging es aber bloß wieder um diese blöde Reichspolitik, von der Thietmar sowieso nichts verstand. Nun ja, sich einen anderen Zeitvertreib ausdenken, das konnte er hinterher immer noch tun.
     Auf spitzen Zehen schlich der Knabe sich an den Bediensteten vorbei, kroch auf allen vieren um schwere Möbel herum und war flink wie ein Wiesel durch eine angelehnte Tür verschwunden. Schnell ein kurzer Lauf durch einen Gewölbegang und schon hatte Thietmar die schmale Galerie erreicht, welche auf halber Höhe den Festsaal umlief. Sich hinter einer steinernen Brüstung duckend, schielte er in den Saal hinunter und hielt erschrocken den Atem an. Oh weh, der Kaiser war zornig, so zornig, wie ihn Thietmar noch nie erlebt hatte. Fast so, wie ein furchtbares Gewitter , dachte der Knabe besorgt.
    Bis auf wenige Ausnahmen hatten alle Edlen ihre Köpfe gesenkt, blickten betreten zu Boden und wagten es nicht einmal die Hände nach ihren Weinkelchen auszustrecken. Auf einen Schlag waren alle Gespräche verstummt und eine unheimliche Stille breitete sich aus.
    Dann folgte, gleich einem Donnerschlag, die Reaktion des Kaisers: »Diese verdammten Heiden!«, fluchte er lauthals. Vor Wut bebend riss er seinen Pokal in die Höhe und schleuderte ihn im hohen Bogen durch den Saal. Laut scheppernd prallte das kostbare Gefäß gegen das dunkelrote Gemäuer, hinterließ hässliche Flecken auf einem kostbaren Wandteppich und kullerte torkelnd noch ein Stück über den Boden.
    Einige der edlen Damen stießen kleine spitze Schreie aus, während ihre Begleiter leicht zusammenzuckten. Die kirchlichen Würdenträger am anderen Ende der Tafel bekreuzigten sich mehrmals und bewegten ihre Lippen zu stummen Gebeten. Zumeist ängstlich unterwürfige, aber auch einige neugierig lauernde Blicke schielten unter gesenkten Lidern in Richtung des Kaisers.
     Furchtsam zogen die Dienerschaften ihre Köpfe ein, um ein möglichst kleines Angriffsziel zu bieten. Sie kannten das Oberhaupt ihres riesigen Reiches gut genug und wussten um seine Macht und den ihm eigenen, plötzlichen Jähzorn. Sogar seine zwei großen Doggen, die zuvor gierig die zugeworfenen Leckerbissen verschlungen hatten, verkrochen sich ängstlich unter der festlich gedeckten Tafel. Leise winselnd suchten sie einen gewissen Sicherheitsabstand, um nicht zufällig von wütenden Fußtritten attackiert zu werden.
     Einer des Kaisers Tischnachbarn, Thietmars Oheim, Graf Liuthar von Walbeck, wich betreten den zornigen Blicken aus und blinzelte zu Markgraf Dietrich hinüber, in dessen Augen er ein triumphierendes Glitzern zu vernehmen meinte. Das hinterlistige Gebaren des Markgrafen hatte dem milden und tiefgläubigen Liuthar noch nie gefallen. Sicherlich, der Umgang mit den Wenden der Nordmark war schwierig, aber deshalb gleich derart den Hass des Kaisers zu schüren, nur um an den armen Ungläubigen ein furchtbares Exempel zu statuieren? Nein, dies war nicht die feine Art eines gläubigen Christenmenschen.
     Thietmar, dessen Hände fest die steinerne Brüstung umklammert hielten, riss vor Schreck die Augen auf und hielt die Luft an, als sein Oheim sich mit einem vorsichtigen Handzeichen zu Wort meldete. Der Oheim war mutig, das wusste sein kleiner Neffe schon lange.
      Was der gute Liu wohl nur vom Kaiser will? Ob es gar so wichtig ist, dass er deshalb Kopf und Kragen riskiert? , überlegte er angestrengt. Bei Gott im Himmel, es fiel Thietmar kein Grund ein, der wichtig genug wäre, sich in diesem Moment zu Wort zu melden. Anstelle des Oheims hätte er sich lieber ruhig verhalten und abgewartet, bis Ottos Zorn verraucht wäre. Vorsichtig schob der Junge seine Nase ein Stück durch das Geländer und hielt den Kopf etwas schräg, um noch besser lauschen zu können.
     Graf Liuthar brauchte nicht lange warten. Da er der Einzige war, der ums Wort bat, zog er blitzschnell die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. Ottos prüfender Blick richtete sich auf ihn, viel länger, als er es sonst tat. Liuthar merkte, wie es im Gesicht
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