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Die Ehre der Slawen

Die Ehre der Slawen

Titel: Die Ehre der Slawen
Autoren: Unbekannt
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Gott der Sonne und des wärmenden Feuers. Ihm sind all die Fruchtbarkeit und das Gedeihen jeglichen Lebens zu verdanken.«
     Der kleine Thietmar wurde nachdenklich und bohrte sich mit dem Zeigefinger in der Nase.
     »Bruder Oddar sagt immer, dass es nur einen Gott gibt: den Gott der Christen. Und an diesen Gott glaube ich, denn ich will ein frommer Christ sein.«
     »Ja, ja«, beschwichtigte der greise Slawe schnell den Knaben, denn er hatte keine Lust, sich auf seine alten Tage noch mit der allmächtigen Geistlichkeit anzulegen.
     »Der fromme Oddar ist mit Sicherheit einer Eurer treuesten Gottesdiener und auch bestimmt ein guter Lehrer. Es ist auch nur recht und billig, wenn Ihr, kleiner Herr, an den Gott der Christen glauben wollt und ihm mit ganzem Herzen zu dienen sucht. Jeder sollte an das glauben dürfen, was er für richtig hält.«
     Thietmar nickte eifrig und bekreuzigte sich mehrmals.
     »Aber«, wandte der greise Slawe ein, »der Christengott ist Euer Gott und Swarozyc ist eben mein Gott. Könnt Ihr das verstehen, junger Herr?«
     »Na gut«, zuckte der Knabe mit den Schultern und winkte ab, »ist ja auch egal. Irgendwann werden sowieso alle Menschen an den Heiland glauben.«
     Thietmar legte den Kopf schief, kniff ein Auge zu und fragte forschend:
     »Dieser Swarozyc war aber nicht der Geliebte des Riesenmädchens in der Geschichte, oder?«
     »Nein, nein, der Riese war ja kein Gott.«
     »Hatte aber auch vier Gesichter wie dein Gott?«
     »So ist es, mein kleiner Herr.«
     Der Greis machte eine Pause und ließ seine Gedanken in ferne Zeiten zurückschweifen. Ein verklärtes Lächeln entspannte seine Züge und ein hoffnungsvolles Funkeln spiegelte sich in seinen Augen wider.
     »Und wie geht die Geschichte weiter?«, fragte der kleine Thietmar ungeduldig.
     »Oh«, schreckte Starislav aus seinen Gedanken auf und bemühte sich, schnell ein Ende zu finden, bevor ihn der aberwitzige Knabe erneut unterbrach.
     »Also, weil das Riesenmädchen aber nicht jedes Mal mit einem nassen Rock vor ihren Geliebten treten wollte, hatte sie eines Tages eine kluge Idee. Sie beschloss, einen Damm durch den See zu schütten, auf dem sie trockenen Fußes bis ans andere Ufer gelangen konnte. Eine Brücke zu bauen hätte nicht viel Sinn gehabt, denn kein Holz dieser Welt hätte ihr Gewicht zu tragen vermocht.«
     »Hätte ich an ihrer Stelle auch gemacht«, unterbrach Thietmar erneut.
     Der Greis schüttelte über so viel Unruhe jedoch nur leicht den Kopf und erzählte weiter.
    »Kaum gedacht machte sich das Mädchen also an die Arbeit und schöpfte sich einen großen Berg Sand in die Schürze, so viel, bis nichts mehr hineinpasste. Schweren Schrittes machte sie sich sodann auf den Weg und stieg ins Wasser. Die gewaltige Menge Sand wog jedoch viel schwerer, als es für ihre Kleider gut war. An solcherart Lasten hatten die Zwerge überhaupt nicht gedacht, sonst hätten sie bestimmt ein Gewebe aus funkelndem Erz, statt des viel leichteren Tuches, genommen. So geschah es also, dass inmitten des Sees das Schürzenband mit einem furchtbar lauten Knall riss und der ganze Berg Sand sich in die Feisneck ergoss. Es war eine so große Menge, dass daraus eine richtige Insel entstand.« Nach einer kurzen Pause fügte der Greis mit zitternder Stimme hinzu: »Lange Zeit nach den Riesen zog dann mein Volk in diese Gegend, und weil es dort so schön war, beschlossen meine Urväter an diesem Ort sesshaft zu werden. Sie bauten am Ufer der Feisneck eine Siedlung und errichteten auf der Insel der Riesin eine Fluchtburg. Diese verbanden sie dann durch eine lange Brücke mit dem Ufer. Dort bin ich geboren und aufgewachsen.«
     »Ist es wirklich so schön dort, wie du immer erzählst?«, fragte Thietmar vorsichtig.
     »Wunderschön!«
     Nun war der kleine Junge an der Reihe, einen tiefen Seufzer von sich zu geben.
     »Zu gerne würde ich einmal selbst an die Feisneck reisen, um die Insel des Riesenmädchens mit eigenen Augen zu sehen.«
     »Ich wünschte mir auch nichts sehnlicher«, flüsterte der Greis mit kaum hörbarer Stimme.
     Mit verklärten Blicken malte Thietmar sich in seiner Fantasie die schönsten Bilder von Land und Leuten an der Feisneck aus und merkte gar nicht, wie der alte Starislav langsam einnickte. Erst die gleichmäßigen Atemzüge des Alten, die von einem ungesunden Rasseln und Pfeifen begleitet wurden, holten ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Auf Zehenspitzen schlich der kleine Junge zu seinem
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