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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Kamera blickt. Genau. Das Bild hatte Gritli von ihm gemacht, um die Funktionstüchtigkeit des Gerätes festzustellen. Ich blätterte mich durch die Fotos, falls noch welche drauf sein sollten. Es waren welche drauf.
    Das erste war eigentlich unspektakulär. Es zeigte –Marxer. Er verließ gerade seine Villa, in einem todschicken Fummel von irgendeinem Pariser Modeschöpfer, ihm auf dem Fuß folgend Olya, eine Reisetasche tragend. Obwohl mir Marxers Anblick naturgemäß Brechreiz verursachte, stand hinter der Fotografie eine schlichte Botschaft: Ich, Petersen oder wie immer ich auch heißen mag, habe euch Brüder alle im Blick, ihr könnt keinen Schritt tun, ohne dass ich euch beobachte.
    Das zweite Foto war kryptisch. Ein Strauß roter Rosen, der in einer Vase auf einem Krankenhausnachttisch vor sich hin welkte. Nein, niemand hatte jemals rote Rosen auf meinen Nachttisch gestellt, als ich monatelang im Koma lag. Oder doch? Ich konnte es ja nicht wissen, aber Oxana würde es wissen. Nachher unbedingt anrufen und nachfragen. Nächstes Bild.
    Jetzt stockte mir der Atem. Ein Kinderspielplatz, ein Sandkasten, im Hintergrund ein Klettergerüst. Ein Kind, ein Junge mit zerzausten blonden Haaren, etwa fünf Jahre alt, sitzt im Sandkasten und weint. Er hat ein Plastikschippchen in der Hand und schwenkt es drohend Richtung Fotograf. Aus beiden Nasenlöchern kriecht Rotz, den er gleich mit viel Geräusch hochziehen wird. Am Klettergerüst hängt ein kleines Mädchen, auch höchstens fünf, die Kniekehlen um eine Stange, mit dem Kopf nach unten, ihre langen schwarzen Haare erreichen fast den Boden. Das ist Tanja.
    Woher ich das weiß? Weil ich das Bild kenne. Der kleine Junge, das bin ich, das Mädchen eine Kindergartenfreundin, Tanja eben, in die ich schrecklich verliebt war und mit der ich gerne anstellen wollte, was alle Liebenden anstellen wollen: ihr einen Lutscher kaufen und hoffen, dass ich auch mal dran lecken darf. Der Fotograf ist mein Onkel Friedrich. Und warum heule ich? Keine Ahnung, wahrscheinlich nur schlecht drauf. Ja, es ist mein Foto. Es hat mich lange begleitet, bis es vor fünf Jahren in den Wirren eines Umzugs spurlos verschwand. Jetzt ist es wieder da. Auf einer Digitalkamera. Von einem Fremden, einem Feind in viele kleine Pixel verwandelt.
     
     
     

Impressum
     
    © 2012 Dieter Paul Rudolph
    Cover nach einer Vorlage aus „Sherlock Holmes, der Weltdetektiv“, ca. 1905
    Kontakt: [email protected]
     
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