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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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erleuchtetes Fensterviereck hinein. Sonja Weber war zu Hause und sah den ZDF-Samstagskrimi oder den ARD-Jodelstadel.
    Keine bessere Wohngegend. Die Häuser waren alt, heruntergekommen und billig, dem Weberhaus gegenüber lockte eine „Bauernschenke“ mit einem eigenen Parkplatz für Rollatoren, was auf das dort verkehrende Publikum schließen ließ. Ich hatte noch 8 Euro 26 in der Tasche und ein jahreszeitliches Verlangen nach Glühwein, meine Füße dampften vor Kälte. So war die Tür zur „Bauernschenke“ rasch geöffnet, ein Schwall Warmluft sowie ein raucherhustender, an der noch jungfräulichen Zigarette nuckelnder Rentner kamen mir entgegen, ersterer nahm mich gastfreundlich in sich auf, letzterer rannte mich beinahe um und maulte ein „Hoppla, junger Mann“, was ihm der junge Mann mit einem zünftigen „Viel Spaß bei der eigenen Beerdigung“ vergalt. Wir schieden als Feinde fürs Leben. Die „Bauernschenke“ war, von drei älteren Herren und einer Art älteren Dame abgesehen, leer, ich setzte mich ans Fenster und sah, bis die Bedienung kommen würde, zu Webers gelbem Fenster hoch. Das konnte dauern, wahrscheinlich wechselte die Bedienung gerade das Frittenfett oder die Stützstrümpfe.
     
     
    13
    Seit in Kneipen nicht mehr geraucht werden darf, verströmen sie das Flair von Wartezimmern in Arztpraxen. In der „Bauernschenke“ hockte auch die dazugehörige Kundschaft, ein Trio philosophierender Greise, die sich auf den nächsten moribunten Abend im Altersheim freuten, aber vor allem darauf, ihn überhaupt noch zu erleben. Am Nebentisch starrte eine Frau im Kaninchenpelz in ein Gläschen Eierlikör. Sie war wesentlich jünger als die Männer, höchstens 68.
    „Mainz“, sagte der haarloseste der drei Greise, und sein Nebenmann erbrach sein Ziegengelächter ins Bierglas. „Mainz!“ wiederholte er, „wisst ihr noch? Mainz wie es stinkt und kracht, was haben wir das gerne geguckt! Und jetzt? Spielen sie dort Beatmusik!“ Der Dritte, dem man selbst nach erfolgreicher Vierteilung noch Korpulenz bescheinigt hätte, nickte bitterlich. „Maria Hellwig ist jetzt auch schon tot. Schade um das junge Ding.“
    „Mainz also“, fuhr der Glatzkopf fort, „das muss man sich mal vorstellen! Wenn ein Verein wie Mainz 05 Zweiter der Fußballbundesliga werden kann, dann steht es schlecht um Deutschland! Dann könnte auch.... könnte auch....“ - er überlegte angestrengt – „Burundi Exportweltmeister werden!“ Die Dame am Nebentisch griff zum Eierlikör und kippte ihn auf Ex, eine Hälfte für sich, die andere für den Kaninchenpelz. Und verlangte sodann lautstark nach einer „Monika!“
    Mit Monika war wohl die Wirtin gemeint. Aus dem Raum hinter der Theke ertönte jedenfalls ein überraschend jugendliches „Ja gleich!“ und mit ihm tatsächlich Monika, ein Heike-Makatsch-Klon, nur ansehnlicher. In nie für möglich gehaltener Synchronizität, so es diesen Ausdruck überhaupt geben sollte, straffte sich das Herrentrio, sechs Hände verschwanden diskret unterm Tisch und brachten die Gemächte in Ordnung. „Noch einen!“ verlangte die Dame und auch die Herren hoben ihre Gläser, taten, was sie als Lächeln missdeuteten, der Korpulente legte generös einen Satz dazu: „Schenk uns noch was Schnuckliges ein, du süße Maus!“
    Frauen mit Pferdeschwanzfrisuren haben mich schon immer nervös gemacht. Nun wippte die Haarpracht samt Trägerin zu mir herüber, blieb stehen und es fragte, was ich nicht anders erwartet hatte: „Was darf es sein?“ Ich bestellte meinen Glühwein und die Wirtin drehte sich ohne weitere Regung um. Ich sah ihr nach, die Alten sahen ihr nach, sogar die Dame mit dem Kaninchenpelz sah ihr nach, und hätte es noch seine Augen gehabt, auch das Kaninchen hätte der Wirtin nachgesehen.
    Die Bestellung hatte mich zu einem existenten Phänomen im Universum der „Bauernschenke“ werden lassen, zu einem gerade erst aus dem Säuglingsheim des Kosmos entschlüpften Stern. Die Dame schenkte mir ein Lächeln, die Herren einen Blick, der die jüngere Konkurrenz beim Monikawerben einzuschüchtern trachtete. „Monika!“ rief denn auch Glatzkopf sofort, „ist das hier jetzt auch ein Kindergarten?“
    Ich entschloss mich, die übrigen Gäste zu ignorieren und sah wieder zum erleuchteten Fenster der Weberschen Wohnung hoch. Was mochte Sonja hinter den Gardinen gerade denken? Mir fiel ein, dass es meine berufliche Pflicht war, die Wohnung genauestens unter die Lupe zu nehmen, um eventuelle
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