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Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)

Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)

Titel: Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
Autoren: Tad Williams
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hatte, und das Schimmern breitete sich darauf aus, entfachte sich dann zu einem so grellen Leuchten, dass ich blinzelnd einen Schritt zurückwich.
    »Nicht …!«, sagte ich und deutete mit der Pistole darauf.
    »Keine Angst.« Sam hob die grellleuchtende Hand und zog mit dem Zeigefinger vor dem Spiegel eine senkrechte Linie in die Luft. Ein Reißverschluss erschien oder vielmehr etwas Reißverschlussähnliches, aber nicht so klar begrenzt, eine Wolke von Leuchten, ein Miniatursternennebel, einen Meter über dem Boden mitten in Crazytown. »Kephas hat mir das hier gegeben«, erklärte Sam. »Verdoppelt wohl die Kräfte der hohen Engel. Ich weiß nicht, was es ist und wie es funktioniert – ich nenne es einfach den Gotteshandschuh.« Sam machte wieder eine Handbewegung, und das neblige Licht verteilte sich, hinterließ ein weichgezeichnetes Loch in der Mitte des Spiegels. Durch das Loch sah ich Objekte und Farben, wie eine dieser kleinen Szenen in einem Zuckerosterei. »Ich trete jetzt ein Stück beiseite«, sagte Sam. »Ich schwör dir, dass ich keine Tricks versuche. Schau einfach nur.«
    Ich vertraute ihm, aber vertraute ihm natürlich auch nicht, also ließ ich, als ich mich vorbeugte, die Pistole ungefähr auf Sam gerichtet. Es war nicht wie ein Bild. Was ich sah, hatte Tiefe, war eine ganze Welt für sich hinter dem schartigen, rostigen Spiegel. Ich sah Eichen und Weiden und einen Fluss und, als ich mich noch näher heranbeugte, ein etwas baufällig wirkendesviktorianisches Haus auf einem Hügel in der Ferne, am Ende einer langen unbefestigten Straße. Ich bildete mir ein, sogar ein paar winzige Gestalten auf der Veranda stehen und vielleicht zu mir herüberschauen zu sehen. War eine davon Edward Lynes Walker? »Das ist es?«, sagte ich, seltsam gerührt von dieser bescheidenen ländlichen Szenerie. »Das ist eure großartige Alternative zu Himmel und Hölle? Das kleine Haus in der Prärie ?«
    »Das ist nur der Anfang«, sagte Sam. »Es wird größer werden. Es wird immer realer werden. Jetzt sind erst ein paar hundert Leute dort, aber es wird wachsen – auch ohne mich. Kephas hat noch viele andere Engel rekrutiert. Ein paar könnten wir sogar kennen.«
    Ich legte den Gedanken erst mal beiseite, für später. »Und du glaubst wirklich, es wird besser als das, was wir schon haben?«
    »Wenn wir es besser machen können, ja.« Er klang aufrichtig – fast schon naiv aufrichtig. »Weißt du … du könntest auch dort sein, Bobby. Ich weiß, dass du über dieselben Sachen nachgedacht hast wie ich. Ich weiß, dass es dir auch stinkt, der ganze Geheimkram und die anderen hässlichen Sachen, die unsereins zu tun hat.«
    »Oh, danke.« Ich richtete mich auf. »Aber ich bin nicht ganz an dem Punkt, wo ich bereit wäre, dem Irrsinn zu trauen und dieses Kool-Aid zu trinken. Noch nicht.« Ich war müde bis in die Knochen, und Clarence würde demnächst zu sich kommen. »Los. Verschwinde, Sam.«
    Er starrte mich an. »Du – du meinst …?«
    »Ja, ich meine. Mach, dass du hier wegkommst. Geh zu deinen verrückten Freunden und baut weiter an eurer kleinen Jenseitskommune. Besser du als ich. Ich werde ihnen sagen, du seist entkommen.«
    »Das glauben sie dir nie.«
    »Dass ich mal wieder Mist gebaut habe? Das glauben sie sofort.« Ich zuckte ein wenig zusammen bei der Vorstellung, wieGeneral Karael mein jüngstes Komplettversagen aufnehmen würde. »Los jetzt! Ich werde dich nicht auch noch anflehen.«
    Doch statt durch das nebelumrandete Portal zu treten, kam er auf mich zu. Einen Moment lang hatte ich schreckliche Angst, er würde mich umarmen. Ich habe keine Angst davor, umarmt zu werden, nicht dass Sie denken – jedenfalls keine allzu große –, aber der Gedanke, dass Sam jemanden umarmte, war etwa so wie die Vorstellung, dass die eigenen Eltern Sex haben: Es mag ja gelegentlich passieren, aber man will auf keinen Fall Zeuge sein. Zum Glück blieb er gerade noch außerhalb der Umarmungsdistanz stehen. »Moment noch«, sagte er. »Ich muss dir noch was geben, bevor ich gehe. Also, mach dir nicht ins Hemd, B, ich muss jetzt in deine Tasche greifen.«
    » Meine Tasche …?«, sagte ich, aber er hatte die glimmende Hand mit dem Gotteshandschuh schon in meine Jackentasche geschoben – ich fühlte sie an mir wie einen heißen Stein. Er richtete sich wieder auf, legte das, was er gefunden hatte, in seine andere Hand und hielt es mir hin.
    Mehrere Sekunden lang konnte ich es nur anstarren. Es war ein erstaunlicher
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