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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition)
Autoren: Susannah Kells
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Illuminaten. «Die Vernunft?»
    Marchenoir lächelte und sagte mit leiser Stimme: «Die Vernunft, die über dem Gesetz steht.»
    Der Zigeuner schaute von der Kerze zu dem mächtigen Mann. Zum ersten Mal lächelte er leicht, seine Angst vor Marchenoir war verschwunden. Jetzt wusste er, warum dieser wichtige Mann ihn aufgesucht hatte. Selbst seine Stimme bekam einen anderen Klang. Er legte allen Argwohn ab, sprach jetzt wie zu seinesgleichen, denn er wusste nun, dass dieser äußerst gefährliche, eindrucksvolle Mann, genau wie er selbst, ein Mitglied des geheimen Illuminatenordens war. «Manchmal habe ich schon befürchtet, die Brüder würden schlafen.»
    «Nein, mein Freund. Und? Wirst du unser Bote sein?»
    Gitan lächelte immer noch. Er wies auf die Kerze. «Selbstverständlich.»
    Marchenoir brummte billigend und stand schwerfällig auf. «Es wird dir gelohnt werden, Gitan.» Mit der Zigarre wedelte er in Richtung der Leiche. «Wir werden diesen Schweinen alles rauben, alles!» Er starrte auf das, was auf dem Boden noch übrig war. «Sie wollte deinen englischen Lord heiraten, ja?»
    «Ja.»
    «Dein englischer Lord.» Marchenoirs Stimme war plötzlich bitter. «Seine Mutter war eine d’Auxigny. Ich bin in Auxigny aufgewachsen. Wir mussten uns in den Matsch knien, wenn ein Mitglied der Familie vorbeiging. Selbst wenn die Kutsche noch einen halben Kilometer weit weg war, mussten wir uns hinknien. Selbst wenn wir bis zu den Oberschenkeln im Mist versanken, mussten wir uns hinknien. Zwischen dem Fluss und dem Berg gehörte alles zu Auxigny, und das schloss uns mit ein.» Er lachte. «Weißt du, wer der gegenwärtige Besitzer von Auxigny ist?»
    Gitan lächelte den großen Mann an. «Du, Bürger!»
    «Jawohl, ich!» Marchenoir wies mit der Zigarre auf seine eigene Brust. «Vielleicht verwandele ich es in ein Bordell mit aristokratischen Huren.» Mit seinem schmutzigen Stiefel stieß er den Sack an. «Vor der da muss ich mich jedenfalls nicht mehr hinknien.» Lachend ging er zur Zellentür. «Gute Jagd, mein Freund. Komm nochmal zu mir, bevor du Paris verlässt!» Er war jetzt im Gang, seine Stimme dröhnte hinter ihm her, als er davonging. «Komm und trink auf unseren Sieg, Gitan!» Er lachte wieder, dann sang er eine Zeile des neuen Liedes, das überall in Paris zu hören war. «Le jour de gloire est arrivé!» Der Geruch seiner Zigarre schwebte über dem Gestank nach Blut, Urin und Fleisch. Er rief noch einmal: «En avant! En avant!» , dann verklang seine Stimme.
    Eine ganze Weile rührte sich der Zigeuner nicht, nachdem der Revolutionär gegangen war, sondern starrte auf die Kerze. Dann, endlich, trat er ans Fenster, zog den Zigarrenstumpen zwischen den Lippen der toten jungen Frau hervor und warf ihn in eine dunkle Ecke.
    Dann brachte er seine Arbeit zu Ende, verschnürte den Sack über dem langen, schwarzen Haar einer jungen Frau, die bis zu diesem Tag schön gewesen war, und trug seine durchweichte Last hinunter in den Gefängnishof, wo die Karren mit den weißen, nackten Leibern der Staatsfeinde beladen wurden.
    Wiehernd kam sein Pferd auf ihn zu. Der Zigeuner stieg auf, der Sack wog schwer in seiner Hand, und ritt in eine Nacht, die erfüllt war vom Geruch des Todes, in eine Stadt, die vom Blutbad erschöpft war. Doch er wusste, dass noch mehr Blut fließen würde, viel mehr Blut. Diese Gemetzel waren nur der Anfang, gerade genug, um den neuen Männern, die eben zur Macht aufgestiegen waren, Geschmack am Töten zu geben.
    Als er an Marchenoir dachte, an die geheime Botschaft der Kerze, lächelte er vergnügt. Er war der Zigeuner, der schwarzgekleidete Pferdemeister, der auf dem geheimen, stillen Pfad des Verräters durch das Grauen reiten würde, so wie er jetzt mit seiner Totenlast durch eine stille, dunkle, verängstigte Stadt ritt. Furchtlos ritt er durch eine Stadt der Angst; er war der Zigeuner.

2
    Regen dräute über Lazen. Seit der Morgendämmerung hingen die Wolken tief über den Hügeln, die das Tal von Lazen begrenzten, und der Westwind war so schneidend, als brächte er die Kälte der langen, grauen Wellen jenseits von Cornwall mit. Lady Campion Lazender trug ein schlichtes blaues Leinenkleid mit einem blauen Mantel darüber und ritt auf höchst undamenhafte Weise über ein frischgepflügtes Feld. Sie ritt im Herrensattel, ohne sich darum zu scheren, dass man ihre Knöchel sehen konnte.
    Am Rand des Feldes wendete sie das Pferd. Das Feld war schlammig, die Erde schwer vom Regen, der in der Nacht
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