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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe
Autoren: Helen Fitzgerald
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»arbeitete« dort, aber mir wurde schnell klar, dass sie in Wahrheit Münzen für ihre Colaflasche sammelte und zu diesem Zweck jede Menge billige und unmögliche Maschen hatte.
    Auf dem großen Bildschirm in der Ecke lief Kricket. Rund achtzig Leute aus allen Ländern des Commonwealth drängten sich davor, tranken, quatschten und schauten zu. Ich sah, wie Fliss die Kneipe verließ, und ertappte mich dabei, den Raum nach Ausländern (sprich: Londonern) abzusuchen. Zwei Männer über dreißig standen in der gegenüberliegenden Ecke und unterhielten sich in sehr vornehmem Englisch. Ich ging zu ihnen und stellte mich vor, und sie spendierten mir drei Bacardi-Cola. Dann fragten sie, wie viel Geld ich nähme.
    »Deine Freundin nimmt angeblich fünfzig für alles«, sagte einer der beiden Engländer und deutete mit dem Kopf auf Fliss, die wieder da war und ein Bier zapfte.
    »Lügner«, sagte ich zu den beiden Spießern und ließ meinen dritten Drink stehen. Dann kehrte ich in meine Ecke der Welt zurück und sah zu, wie Südafrika den 213. Lauf bekam.
    ***
    Ein paar Stunden später saß ich mit Francesco in dem kleinen Garten hinter dem Royal, und wir teilten uns einen Joint.
    »Versprich mir, dass du es nicht tust«, sagte er, nachdem ich ihm von der geplanten Hausbesetzung erzählt hatte. »Versprochen?«
    »Versprochen.«
    Ich legte mich auf die Steinplatten und schaute in den Himmel. Es war seltsam, nicht die Sterne meiner Welt zu sehen. Eigentlich unglaublich. Und während ich den Polarstern anstarrte, dachte ich an Kilburn, den Ort, wo ich vier Jahre zuvor praktisch gestorben war, wo ich immer wieder aufs Neue hätte sterben können, wenn ich dort geblieben wäre. Ich dachte an Ursula, die Klassenbeste, die auf der Uni bislang nichts als Auszeichnungen erhalten hatte, die schön war, aber ernsthaft, und sich für Jungs nicht interessierte.
    »Jungs sind langweilig!« Darauf hatte sie schon als Teenager bestanden, und später, als sie zur Uni ging, hatte sie gesagt: »Die stehen bei mir nicht auf dem Zettel. Ich muss mich konzentrieren. Falls ich mal so weit bin, muss es ein ganz außergewöhnlicher Mensch sein … unwiderstehlich … So einen gibt’s gar nicht.«
    Sie war eine Streberin, die sich in die Naturwissenschaften, später dann in Medizin reinkniete, und sie war eine Einzelgängerin, die von den furchteinflößendsten Aspekten des australischen Landlebens fasziniert war: mörderischer Natur und mörderischem Wetter.
    Ich dachte an meinen Vater, der jetzt dreiundfünfzig Jahre alt war und dessen Haar so dunkel und kräftig wie eh und je aussah. Ein Ingenieur, dessen extreme Energie und Experimentierlust sich wahlweise im Bauen von Hühnerschuppen, Anlegen von Steingärten oder Einlegen von Aprikosen austobte. Ich hatte keine Ahnung, wie das Linoleum auf unserem Küchenboden eigentlich aussah, weil es immer mit den Einzelteilen unseres »launischen« Geschirrspülers bedeckt gewesen war. Ich dachte daran, wie frustrierend es für meine Mutter und meinen Vater – die Allgemeinmedizinerin und den Ingenieur – mit ihrer Leidenschaft für das Reparieren von Menschen und Dingen gewesen sein musste, eine letztlich irreparable Familie zu haben.
    Ursula und mein Vater waren auf der anderen Seite der Welt, und wenn sie aufwachten, dann gab es frische Eier, und die Papageien kreischten. Ich war selbst ein bisschen überrascht, als ich bei diesem Gedanken einen Luftkuss in den Himmel sandte.
    Auf das Zusammensein mit Francesco hatte ich mich den ganzen Tag lang gefreut. Aufmerksam hatte ich den Ratschlägen von Fliss gelauscht und beschlossen, dass es an der Zeit sei, beherzte Schritte in Richtung meiner Entjungferung zu unternehmen. Am Ende unseres Treffens, so mein Entschluss, wollte ich mit offenen Augen daliegen und nach oben schauen. Ich war mir allerdings weniger sicher, wie die Sache konkret anzugehen sei, und all die logistischen Aspekte erfüllten mich mit leichter Panik. Eine Freundin von mir hatte fünf Minuten lang auf den Penis eines Mannes geblasen. Sie hatte buchstäblich draufgepustet, als wär’s ein Geburtstagskuchen, ehe der Typ vorschlug, sie solle doch mal einen Mundvoll probieren. Eine andere Freundin hatte mittendrin zu würgen begonnen, eine dritte hatte sich eine Kiefersperre geholt, und eine weitere war quasi gleich danach Lesbe geworden. Meine Nerven spielten allmählich verrückt, und ich wartete darauf, dass Francesco endlich erste Schritte unternähme. Da konnte ich lange warten.
    Er
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