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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß
Autoren: Yalda Lewin
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Gleichgewicht. Ein brennender Schmerz bahnte sich seinen Weg durch meinen Oberarm, als die Spritze sich in meinen Muskel bohrte. Noch im Fallen spürte ich, wie sich ein Schuss aus meiner Pistole löste. Die Kugel schlug gegen die Decke, prallte zurück – und ein heftiger Ruck durchzuckte Ewald.
    Das Gesicht des Arztes verzog sich zu einer schmerzlichen Grimasse. Er taumelte zurück und fasste sich an die Brust. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch und tränkte den Stoff seines Hemdes dunkelrot.
    Mein Blick glitt hinüber zu der Spritze in meinem Arm. Ewald hatte es nicht geschafft, sie vollständig zu leeren. Doch irgendetwas kreiste in meinem Blut. Ich konnte spüren, wie es mich von Sekunde zu Sekunde mehr betäubte. Spürte einen heftigen Würgereiz, Krämpfe, Schwindel. Mein Herz bewegte sich in ruckartigen Sprüngen. Mühsam blickte ich auf und beobachtete, wie Ewald zur Tür schwankte und dabei eine Spur von Blut auf dem Boden hinter sich zurückließ. Er fasste in seine Tasche und zog die Glasphiole hervor. Sein Blick heftete sich auf mich.
    »Ich habe mich geirrt«, keuchte er, und es war nicht viel mehr als ein Flüstern. »Es ist nur ein Remis.«
    Die Phiole entglitt seinen Fingern und zerschellte auf dem Boden. Er sackte zusammen. Das Atmen verstummte. Und es wurde still und dunkel um mich.

Kapitel 17
    Auf dem sonst so verlassenen Gelände wimmelte es von Polizisten, Akademieermittlern und – hinter einer sorgfältig mit gelbem Plastikband gezogenen Absperrung – von Reportern der örtlichen Presse. Die Nachricht von den Ereignissen in den Beelitzer Heilstätten hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Ich saß im Heck eines Krankentransporters und beobachtete durch die offenen Türen, wie ein Fernsehteam aus Berlin mit einem Übertragungswagen vorfuhr, Kameras und Stative aufgebaut wurden. Sah eine Moderatorin, deren Gesicht noch hastig überpudert wurde, bevor sie nach einem Mikrofon griff und auf Sendung ging.
    Aus unzähligen Funkgeräten knisterten Wortfetzen. Es fühlte sich an, als stünde ich in einem Sprühregen kristalliner Glassplitter, die alle zugleich feine Schnitte in meiner Haut hinterließen.
    Hades warf mir eine Decke über die Schultern. »Kaum zu fassen«, murmelte er, während er sorgfältig überwachte, ob die Gefahr eines psychogenen Schocks gebannt war. »Das ist ja ein Keller wie aus einem Horrorfilm.«
    Ich nickte bedächtig. »Hast du die Lilien gesehen?«
    »Ja, zumindest das, was von ihnen übrig war. Offensichtlich hat sich die Starre der Zeit in dem Moment gelöst, als Ewald starb. Die meisten Blüten sind nur noch ein Haufen Staub.«
    »Ich bin nicht sicher, was passiert ist«, sagte ich und fasste mir an die pochenden Schläfen. »Ich kann mich nicht erinnern. Nicht richtig. Es sind nur …«
    »Ich weiß«, unterbrach mich Hades. »Reg dich nicht auf, das wird wieder.«
    Ich nickte stumm. Doch wie sollte ich mich beruhigen, wenn jede Erinnerung nur noch aus unzusammenhängenden Fetzen und Lichtblitzen bestand? Immer wieder sah ich Ewalds Gesicht vor mir, gellte ein Lachen in meinen Ohren. Ich beobachtete, wie Hades den notdürftigen Verband an meinem Oberarm löste. Dann pfiff er leise durch die Zähne. »Ja, es ging zur Sache. Merkst du was davon?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Kaum. Nicht schlimm. Ein leichtes Brennen.«
    »Es war Arsen in der Spritze«, sagte Hades. »Und wenn er dir die komplette Ladung verpasst hätte, hätte ich dich erst auf meinem Seziertisch wiedergesehen. Du hast ein Mordsglück gehabt, mein Lieber. Die Dosis war definitiv jenseits von allem, was man als Stimulanz bezeichnen könnte.«
    Ich schwieg. Hades Worte hallten in mir wider. Es hätte nicht viel gefehlt und Mirella und ich hätten bei diesem Einsatz unser Leben verloren. Jedem Mitarbeiter der Akademie war diese Gefahr bewusst. Aber wenn ein solcher Moment tatsächlich eintrat, fühlte man sich trotzdem unvorbereitet. Und irgendwie nackt.
    Ich blickte nach oben, hinauf zu einem der Fenster des Gebäudes, in dem ich im letzten Moment den Fahrstuhl hatte stoppen können. Mir stockte kurz der Atem, als ich Clara von Rieckhofens Leiche sah. Sie saß noch immer auf der Fensterbank, dem Ort, an dem Ewald sie vorhin zurückgelassen hatte. Ihr Kopf lehnte am Holzrahmen des Fensters und der leere Blick ihrer toten Augen fiel direkt auf mich. Ein leichter Schauer jagte mir über den Rücken.
    Ich riss meinen Blick von dem leblosen Körper los, als Hades begann, meine Wunde zu
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