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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Autoren: Bastei Lübbe
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Tischbein hinunter. Auf dem Boden angekommen läuft sie rasch in die Mitte des Zimmers, wo sie abrupt stehen bleibt. Ihre Sinne nehmen etwas Lebendiges wahr. Links von ihr, ganz in der Nähe. Misstrauisch bewegt sie sich in die entsprechende Richtung und krabbelt an einem weißen Tuch empor – dem Betttuch, das der Mann von sich geworfen hat. Die Vogelspinne befindet sich nur noch einen Meter vom Gesicht des Schläfers entfernt. Der Mann fühlt sich in seinem leichten Schlaf gestört, öffnet die Augen und entdeckt die große, schwarze Spinne, die auf ihn zukommt.
    Im letzten Augenblick – die Spinne setzt bereits zum Sprung auf sein Gesicht an – zerquetscht der Mann das Tier und springt aus dem Bett. Er bebt vor Entsetzen.
    Sein Herz schlägt zum Zerspringen, seine Knie sind weich. Er hält sich am Fenstersims fest, um nicht zu fallen, und wischt sich die Hände an seinem Slip ab. Minutenlang ringt er um Ruhe und versucht regelmäßig zu atmen. Schließlich tastet er nach dem Lichtschalter. Eine nackte Vierzig-Watt-Birne hängt an einem verdrehten Kabel von der Decke. Sie erhellt das kleine, uneinheitlich möblierte Zimmer einigermaßen. Der Mann betrachtet das Bett und kann sich endlich daraufsetzen.
    Es ist das dritte Mal, dass ihn dieser grausige Traum heimsucht.
    Am Kopfende des Bettes liegen auf einem Stück Linoleum mit Parkettmuster ein dickes Spiralheft, ein Kugelschreiber und einige mit Blut befleckte Papiertaschentücher.
    Der Mann blättert in dem Heft, in dem er gewissenhaft seine Träume und die wichtigsten Augenblicke seines Lebens festgehalten hat. Es ist bereits das fünfte seiner Art; die anderen hat er sorgfältig an einem anderen Ort versteckt. Er sucht nach den früheren Spinnenträumen und liest sie aufmerksam durch. Sie haben exakt den gleichen Inhalt; er hat sie im Abstand von einigen Wochen geträumt. Träume faszinieren ihn. Er hat bereits viele Bücher gelesen, die sich mit ihrer Bedeutung befassen. Was er jedoch vor allem schätzt, ist die Tatsache, dass er sich seiner Träume bewusst ist. Meist träumt er am frühen Morgen. Er träumt, nimmt aber gleichzeitig die Geräusche der Wirklichkeit und den Straßenlärm wahr. Manchmal versucht er, diesen Zustand so lange wie möglich herauszuzögern und die Traumbilder zu kontrollieren, um zu erfahren, bis wohin sie ihn treiben.
    Mit einer feinen, regelmäßigen Schrift notiert er detailliert das Datum und den Ort, an dem er sich befindet, und beschreibt präzise alle Einzelheiten des Traums.
    Die Vogelspinne ist zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten zurückgekehrt. Es ist die Angst, die mich aufweckt; sie führt dazu, dass ich die Spinne zerquetschen kann. Ich frage mich, was geschehen würde, wenn das Tier tatsächlich auf meinen Kopf springen würde. Ich verfüge weder über ausreichende Beherrschung noch über genügend Bewusstsein, dass es nur ein Traum ist, um die Spinne gewähren zu lassen. Das Entsetzen trifft mich bis ins Mark. Dieser Traum hindert mich daran, wieder einzuschlafen. Seine Symbolik ist mir bekannt; ich habe häufig darüber gelesen. Vielleicht sollte ich eine Tiefenanalyse des Traums durchführen.
    Anschließend notiert er am Rand:
    Ich schlafe sehr schlecht. Im Zimmer ist es extrem heiß; bereits am Morgen zeigt das Thermometer fast dreißig Grad, und wie es scheint, soll es so weitergehen. Doch das Schwierigste kommt erst noch. Ich darf mich nicht irren und wage nicht, an die Folgen zu denken, wenn etwas schiefgehen sollte. Aber ich muss jetzt anfangen, muss es in Gang bringen. Ich weiß es und ich spüre es. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Gluthitze mir dabei hilft.
    Es ist fünf Uhr morgens und der Mann ist sicher, dass er nicht mehr einschlafen kann. Die Wucht des Traums hat einen heftigen Kopfschmerz ausgelöst. Da er häufig schwere Migräneanfälle hat, nimmt er ein starkes Medikament. Er schüttet eine Portion löslichen Kaffee in ein Glas, füllt es mit heißem Wasser aus dem Hahn in der Küche, setzt sich wieder auf sein Bett und spült mit der Flüssigkeit die Tegretol-Tabletten hinunter. Leise läuft das Radio. Die Nachrichten verkünden, dass die Hitzewelle, unter der Frankreich und ganz Europa leiden, noch mehrere Tage andauern wird. Der Mann seufzt, als er daran denkt, dass die durch die ungewöhnliche Hitze verursachte zusätzliche Arbeit nicht so bald aufhören wird.
    Um halb sechs wird es langsam hell. Der Mann wirft die blutbefleckten Taschentücher fort und geht in das winzige, an
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