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Die dunkle Schwester

Die dunkle Schwester

Titel: Die dunkle Schwester
Autoren: Frewin Jones
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schwebte sie in der Luft, in einer goldenen Aureole, die bernsteinfarbene Strahlen aussandte. Und wo immer diese Lichtstrahlen auf den Boden fielen, schoss grünes Gras hoch. Als Tania den Kopf wandte, sah sie einen wogenden goldenden Lichtstrom, der von Oberon und Titania ausging, der sie mit ihnen verband und ihr eine ungeahnte Macht verlieh. Tania öffnete den Mund und stieß einen wilden Schrei aus, von der vereinten Kraft des Sonnenkönigs und der Mondkönigin erfüllt. Als sie die Hände hob, schossen goldene Lichtfäden aus ihren Fingerspitzen und bildeten kunstvolle Geflechte, die in alle Richtungen flogen und die letzten Grauen Ritter in Staub auflösten. Die Bluthunde schrumpften in dem gleißenden Licht zu schwarzen Felsbrocken zusammen und alles hallte vom Lärm der fallenden Rüstungen und dem Gepolter der Steine wider.
    Ein goldenes Lichtnetz legte sich um den Hexenkönig und hüllte ihn immer dichter ein, bis er in einer Kugel aus glühendem Gold gefangen war. Tania hörte sein Wutgeheul und sah seinen grotesk verzerrten Schatten in der Kugel. Ein letztes Mal spürte sie die goldene Macht in sich, die ihr aus den Augen schoss und die Kugel in tausend Scherben zertrümmerte, die in die Luft hinaufgeschleudert wurden und nach einer Weile als glitzernder Regen herunterfielen.
    Wo der Hexenkönig gestanden hatte, blieb nur schwarzer Rauch zurück und ein finsteres Häufchen Staub, das immer mehr zusammenschnurrte, bis es sich schließlich ganz auflöste.
    Tania blickte sich verwundert um. Die Ödnis erwachte zum Leben: Ringsherum breitete sich saftiges Grün aus, wogte bis zum Wald und verwandelte in einem einzigen Augenblick die eisige Winterstarre in blühende Sommerpracht, fegte zum Palast hinunter und füllte die zerstörten Gärten mit Farbe und Schönheit. Aber das neue Wachstum endete nicht an den Palastmauer n – es schwappte als riesige, Leben spendende Welle darüber hinweg, wusch Brand- und Rußflecken fort und löschte alle Spuren der Vernichtung aus, die der Hexenkönig und seine Kriegerhorden hinterlassen hatten. Die zertrümmerten Fenster wurden wieder ganz und die umgestürzten Mauern richteten sich wie von selbst wieder auf.
    Aber die Heilung ging noch tiefer, Tania sah es so deutlich, als seien die Palastmauern aus Glas: Die zerstörten Möbel und zerfetzten Bilder setzten sich wieder zusammen, ja, der gesamte Palast erstrahlte in seiner alten Schönheit. Selbst die abgebrannte Bibliothek erstand wieder neu, und Tania beobachtete staunend, wie die Zeit rückwärtslief, Asche und Ruß sich in Papier zurückverwandelten, die Regale sich aufrichteten und mit Schriften füllten, einschließlich der verbrannten Seelenbücher.
    Und die ganze Zeit über war Tanias Kopf von Musik erfüllt. Musik, die so schön war, dass ihr der Atem stockte. Die lauteste Melodie kam von der Sonne, die ihre strahlende Stimme über der ganzen Welt erschallen ließ und einen Chor von anderen Stimmen anführte: den tiefen Bass der fernen Berge, den hellen Diskant der Flüsse, die harmonischen Kadenzen von Bäumen, Blättern, Gräsern und Blüten, den Gesang der Luft und der Erde, des Himmels und des Wassers, und das alles mischte sich in Tanias Ohren zu einer überwältigenden Symphonie. Die Macht des Gesangs und des Lichts wuchsen in ihr, bis sie es kaum noch ertragen konnte und spürte, dass ihr Körper gleich zerspringen würde.
    Dann, im allerletzten Moment, verblasste der goldene Lichtstrom, der sie mit dem König und der Königin verband, und Tania schwebte zur Erde hinab, während die Weltenmusik langsam verebbte, die mystische Kraft, die sie zu zerreißen drohte.
    Und plötzlich stand Edric vor ihr.
    »Wow!«, sagte sie. »Das war ech t …« Doch bevor sie ihren Satz zu Ende sprechen konnte, stürzte sie in Edrics Arme und versank in einer goldenen Leere.

XXVIII
    L asst euch nicht zu sehr von eurer Trauer überwältigen, meine Kinder«, mahnte König Oberon sanft. »Der Tod ist bitter für uns, die wir zurückbleiben, aber er ist nicht das Ende aller Dinge, glaubt mir.«
    Tania stand neben Edric und den anderen Überlebenden der Schlacht auf einem Grashang mit blühenden Kirschbäumen, der bis zum Ufer der Tamesis abfiel. Der kaum enden wollende Schreckenstag war einem lieblichen Abend gewichen, und der Himmel im Westen war mit rosigen Wölkchen bedeckt, durch die sich die Strahlen der untergehenden Sonne wie riesige Radspeichen bohrten. Am ganzen Ufer entlang waren die Toten des Elfenreichs unter weißen
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