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Die dunkle Göttin

Die dunkle Göttin

Titel: Die dunkle Göttin
Autoren: Wolfgang David; Thon Weber
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Morgen in Leeana Hanathafressas Leben.
    Immer war sie ein sehr sportliches Mädchen gewesen. Seit sie laufen konnte war sie an jedem Tag in ihrem Leben geritten. Sie wanderte gern – und sie und ihre Zofen liebten es, schwimmen zu gehen. Allerdings waren sie immer so klug zu warten, bis das Wasser warm genug geworden war, so dass sie nicht schlagartig blau anliefen, wenn sie hineinsprangen. Nur an Leibesübungen aus Selbstzweck war Leeana nie sonderlich interessiert gewesen. Für sie war körperliche Erschöpfung immer ein Mittel, um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Oder der Preis, wenn sie etwas tat, das sie genoss.
    Erlis entsprang offensichtlich einer vollkommen anderen Tradition. Es war das erste Mal, dass Leeana es mit einer sorgfältig abgestimmten Gymnastik zu tun bekam. Und sie hasste es. Nicht nur, weil ihr kalt war, sie sich elend fühlte und Hunger bekam. Leeana war daran gewöhnt, das, was sie tat, auch gut zu machen. Sie kannte das Gefühl, sich ungeschickt oder unfähig zu verhalten, überhaupt nicht. Aber genau das empfand sie, als sie versuchte, die Bewegungen der Kriegsbräute um sie herum nachzuahmen.
    Die Leibesübungen dauerten fast eine Ewigkeit, so schien es ihr, dabei war es nur gerade lange genug, um Leeana auf eine weitere, demütigende Erfahrung einzustimmen. Wenigstens
hatten die Übungen sie aufgewärmt und ihre Muskeln geschmeidig werden lassen. Das war ihr Glück, denn Erlis und die Frau mit dem kastanienbraunen Haar, Ravlahn Thregafressa, ihre Stellvertreterin, nahmen sich anschließend Leeana vor, um ihre »allgemeinen körperlichen Fähigkeiten« gründlich einzuschätzen.
    Als sich diese Prüfung – endlich – dem Ende näherte, war Leeana davon überzeugt, dass sie keinerlei »körperliche Fähigkeiten« besaß. Sie hatte ihr Bestes gegeben, und wenigstens hatten ihre Prüferinnen ihr ernst und vorurteilsfrei zugesehen, als sie sich mühte, deren Anforderungen zu erfüllen. Es war Leeana dabei jedoch vollkommen klar geworden, dass ihr Leben als jugendliche Aristokratin sie bedauerlicherweise nur sehr schlecht auf die körperlichen Fertigkeiten vorbereitet hatte, die von einer Kriegsbraut verlangt wurden. Die einzige Disziplin, in der sie annährend zu genügen schien, waren die Schnellläufe gewesen, zu denen die beiden Frauen sie aufgefordert hatten. Vermutlich hatte sie auch einigermaßen erträglich beim Langlauf abgeschnitten, aber das war auch schon das Beste, was sie von sich sagen konnte.
    Immerhin entließen die beiden Frauen Leeana am Ende und erlaubten ihr, unter Garlahnas Fittiche zurückzustolpern. Sie humpelte auf ihren wunden, nackten Füßen zum Speisesaal, um zu frühstücken. In Balthar hätte Leeana nun üblicherweise eine heiße Schokolade oder einen Tee getrunken, ein Croissant mit Butter und Honig gegessen, oder vielleicht auch zwei, und dazu ein paar Früchte, je nach Jahreszeit. Hier in Kalatha jedoch schlang sie bereits die dritte große Schale Haferbrei – mit Honig gesüßt – hinunter und fragte sich dann, ob sie wohl noch einen ordentlichen Nachschlag bekommen konnte. Zu ihrer Verwunderung fühlte sie sich fast wieder wie ein Mensch, als sie damit fertig war.
    Doch ihre Erleichterung währte nur kurz. Man hatte ihr eine halbe Stunde für das Frühstück gegeben. Auf die Minute genau schleppte Garlahna, diese Verräterin, die Leeana für
ihre Freundin gehalten hatte, sie zu Hundert Ravlahn in die Ausbildungshalle. Der einzige Segen war, dass außer Garlahna und Ravlahn niemand da war, der Zeuge ihres erneuten Versagens werden konnte.
    Es war nicht ihre Schuld, das war ihr klar. Sie hatte nie mit einem Bogen geübt, obwohl sie ausgezeichnet mit den leichten Armbrüsten umgehen konnte, mit der die adligen Frauen der Sothôii Vögel und kleines Wild jagten. Wie radikal auch Tellian Bogenmeister sein mochte, er wäre niemals auf die Idee gekommen, seine Tochter im Schwertkampf zu unterrichten oder ihr gar beizubringen, wie man am wirkungsvollsten jemandem mit einem Dolch den Bauch aufschlitzen und die Eingeweide ausnehmen konnte. Zudem hätte er seinem einzigen Kind niemals die eher zweifelhafte Kunst gezeigt, wie man eine Garotte benutzt und ein Wurfmesser oder Wurfsterne mit tödlicher Treffsicherheit schleudert.
    Ihre Fähigkeiten im Nahkampf mit der bloßen Hand waren noch rudimentärer, um nicht zu sagen lächerlicher, als ihr ungeschickter Umgang mit den hölzernen Waffen, die Ravlahn ihr gegeben hatte. Das Einzige, was Leeana am Ende dieser
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