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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Autoren: Bianka Minte-König
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dass ich genauso versagt hatte wie meine Mutter.
    Natürlich hatte ich Lysette beobachtet, um bei der kleinsten Auffälligkeit mit ihr zu sprechen. Aber anders als ich hatte sie ihre ganze Kindheit hindurch kein bisschen Interesse an Blut gezeigt und war auch sonst ausgesprochen normal und menschlich gewesen.
    Auch ihr vierzehnter Geburtstag, an dem wir besonders wachsam waren, verlief ohne irgendein Anzeichen, dass sich damit bei ihr etwas ändern würde. So hatte ich michmit Conrad, Friedrich und Klara besprochen und wir waren übereingekommen, Lysette gegenüber ihr mögliches vampirisches Erbe nicht zu erwähnen.
    Nun aber erwies sich das in meinen Augen doch als falsche Entscheidung.
    Ich sprang vom Schreibtisch auf, stürzte auf meine Tochter zu und zog sie in meine Arme. Schluchzend lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter.
    »Es, es tut mit so leid, Mutti«, stammelte sie. »Es tut mir so schrecklich leid … Ich wollte es nicht tun … aber … es kam über mich … mit einer solchen Macht … ich konnte mich nicht dagegen wehren.«
    Ich führte sie zum Sofa, und nachdem wir uns gesetzt hatten, legte ich gleich wieder den Arm um sie. Sie war nass wie eine Katze, die jemand im See hatte ertränken wollen. Ihr schönes langes Haar klebte an ihrem Kopf, und Wasser und Tränen vermischten sich auf ihren Wangen.
    Sie war kreidebleich, nur der Mund war leuchtend rot und schwarz verkrustetes Blut klebte daran. Kein Zweifel, sie hatte jemanden gebissen und an ihm gesaugt, aber wen und wo? Wo war sie gewesen?
    »Wo hast du sie aufgegriffen?«, fragte ich Conrad, der sich zu uns in einen Sessel geworfen hatte und sich eine Zigarette anzündete, an der er heftig zog.
    »Im Stall«, sagte er und schien mir geistig ein wenig abwesend zu sein. Vermutlich weil ihm die schreckliche Szene noch vor Augen stand. »Ich wollte noch einmal nach den Pferden sehen und den Stall für die Nacht abschließen, da fand ich sie. Sie hockte in einer leeren Pferdebox auf dem Boden und hielt eines der Fohlen im Arm.«
    »Sie, sie hat ein Fohlen gebissen?«, fragte ich erschüttert, denn ich erinnerte mich daran, wie ich manches Mal amHals von Baldur gelehnt, den starken Puls seines Blutes gespürt und nur mühsam meine Begierde, davon zu trinken, bezwungen hatte.
    Conrad schüttelte den Kopf. »Nein, hat sie nicht. Das Fohlen und auch die anderen Pferde sind unversehrt …«
    Ich fiel ihm ins Wort: »Aber … aber irgendwen muss sie doch gebissen haben … ein anderes Tier vielleicht?« Ich strich ihr über das nasse Haar und fragte mich, wessen Blut an ihrem Mund klebte. Hoffentlich nicht das eines Menschen! Aaron, Sarah … sie hatte sich doch nicht an einem unserer Gäste vergriffen …? Panik befiehl mich und so schob ich sie ein wenig von mir, fasste sie bei den Schultern und versuchte ihr ins Gesicht zu sehen.
    »Lysette, alles wird gut, aber du musst mir jetzt sagen, was geschehen ist. Hast du jemanden gebissen? Wen?«
    Ihr zarter Körper wurde von erneutem heftigem Schluchzen geschüttelt.
    »Sie ist tot«, stammelte sie, »ich habe sie getötet …« Und das Grauen über ihre Tat stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    »Wer? Wer ist tot und wo ist sie?«, versuchte ich dennoch eine klare Information aus ihr herauszuholen. Eile war geboten, denn vielleicht war ja noch nicht alles verloren, vielleicht konnte ich ja noch rettend eingreifen. Und so drängte ich: »Du musst es mir sagen, Lysette! Rasch!«
    Aber dazu war sie nicht fähig, und weil Conrad das offenbar schneller als ich erkannte, stand er auf und sagte: »Kannst du uns hinführen?«
    Lysette zitterte am ganzen Leib und ihre Zähne schlugen aufeinander, aber sie nickte.
    Ich gab ihr einen warmen Mantel und sie führte uns hinaus in die verschneite Nacht. Sie lenkte ihre Schritte zum See, wo am Nachmittag Kinder aus dem Dorf Schlittschuhgelaufen waren. Ich ahnte Schreckliches und es war, als würde sich um mein Herz eine eiserne Klammer legen und es zusammenpressen.
    Am Südufer des Sees sahen wir auf und nieder tanzende Lichter; Fackeln und Laternen und elektrische Lampen, die ihre Lichtfinger über den See gleiten ließen.
    Instinktiv zog ich Lysette in ein Gebüsch und auch Conrad duckte sich hinter eine Erle.
    »Sie suchen jemanden«, flüsterte ich. Conrad nickte.
    »Wo?«, fragte er leise, und Lysette deutete wortlos mit bebender Hand zum Hünengrab, das nur wenige Meter entfernt lag. Es war ein steinzeitliches Ganggrab mit einer schweren Steinplatte auf sechs aufrecht
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