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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Autoren: Bianka Minte-König
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stehenden Megalithen. Conrad schlich geduckt hinüber, und ich folgte ihm, die sich sträubende Lysette mit mir ziehend. Vom anderen Ufer des Sees waren Rufe zu hören. Männer-, Frauen- und Kinderstimmen. Wir mussten uns beeilen.
    Und dann sah ich es. Ein kleines Mädchen, gerade so alt wie der blonde Junge, der meine erste menschliche Blutmahlzeit gewesen war und der noch immer unentdeckt nicht weit von hier im See ruhte. Es war genauso blond. Leichenblass lag es in dem verschneiten Grab, friedlich, als schliefe es. Nur ein paar Blutstropfen auf dem Schnee und ein Bissmal an seinem Hals ließen auf eine Gewalttat schließen. Die Schlittschuhe hatte es noch an den Füßen.
    Lysette stand mit abgewandtem Gesicht am Eingang des Grabes, während Conrad und ich hineingekrochen waren und gebückt und erschüttert ihr Opfer betrachteten. Jede Hilfe kam zu spät. Das Mädchen war seit Stunden tot.
    Die Stimmen wurden lauter, das hieß, der Suchtrupp näherte sich. Ich spähte durch die Steinlücken hinüber zum See und sah nun einen Pulk Menschen auf uns zukommen.
    Ich zog Conrad am Arm. »Wir müssen hier weg! Sie werden uns lynchen, wenn sie uns hier mit dem Mädchen erwischen!«
    »Aber wir können es hier nicht liegen lassen«, meinte er. »Nach den Gerüchten, die über dich seit deiner Attacke auf Rieke im Dorf kursieren, wird man uns sofort in Verdacht haben und uns das Haus über dem Kopf anzünden.«
    »Dann nehmen wir das Kind mit«, sagte ich kurz entschlossen und beugte mich nieder, um das Mädchen aufzuheben. »Beseitige du die Spuren und sieh zu, dass du mit Lysette nachkommst. Ich bringe das Mädchen ins Geheime Gewölbe.«
    Ich spürte, wie mir in der Gefahr übermenschliche Kräfte zuwuchsen, nahm das Mädchen in meine Arme und trug es aus dem Steinzeitgrab. Keine Minute zu früh, denn der Suchtrupp war nur noch etwa zehn Meter von unserem Ufer des Sees entfernt.
    »Beeil dich, Conrad«, rief ich leise und dann hetzte ich, immer bemüht in Deckung zu bleiben, davon.
    Ich erreichte das Gutshaus und stürzte sofort hinunter in den Keller und in das Geheime Gewölbe, wo ich die kleine Leiche in einem der Badezimmer in die Wanne legte und es dann sorgfältig verschloss.
    Wenig später erschien auch Conrad mit Lysette und wir wähnten uns in Sicherheit. Das aber war ein Irrtum.
    Die Dörfler hatten die Umgebung um den See abgesucht und waren auf Spuren am Hünengrab gestoßen. Da es sich auf dem Grund und Boden des Guts befand, hatten sie sich zu uns aufgemacht und standen nun mit Fackeln und Laternen vor dem Haus, wo Hagen und Friedrich ihnen auf ihre lauten Rufe hin öffneten.
    Meine Attacke auf Rieke war tatsächlich nicht vergessenund so verlangten sie nach mir. Doch Conrad beschwor mich, nicht hinauszugehen. »Sie sind erregt, es ist Wahnsinn, der Mob ist keinerlei rationalen Argumenten zugänglich.« Auch Klara riet mir ab, aber ich konnte doch Friedrich nicht mit ihnen alleine lassen, außerdem würde ihm niemand glauben, dass ich nicht im Haus wäre. Also nahm ich all meinen Mut zusammen, wusch mich rasch, wechselte in ein Hauskleid und ging mit Klara nach oben.
    Die Anzahl der Leute erschreckte mich, mehr aber noch der Hass, der mir entgegenschlug.
    »Da ist sie, die Hexe«, schrien sofort einige Frauen, als ich aus dem Haus auf die kleine Freitreppe trat, die von der Beletage zum Vorplatz hinunterführte. Ich bemühte mich Ruhe zu bewahren.
    »Was soll der Auflauf zu so später Stunde?«, fragte ich, die Ahnungslose mimend.
    »Das sollten Sie am besten wissen!«, schleuderte mir ihr Wortführer, der, wie ich erkannte, der Vater von Rieke war, entgegen. »Ein Mädchen aus dem Dorf ist verschwunden, vom Schlittschuhlaufen auf dem See nicht zurückgekehrt! Es ist nicht das erste Kind, das hier verschwindet, und wir alle wissen, was Sie Rieke angetan haben. So fragen wir uns, ob nicht erneut der Wahnsinn über sie gekommen ist …«
    Ich unterbrach ihn. »Sehe ich aus, als wäre ich wahnsinnig?« Und bewusst um Ruhe bemüht, sagte ich: »Es betrübt mich, von dem Verschwinden des Mädchens zu hören, aber uns ist nichts aufgefallen, und es wäre besser, nachdem ihr die Umgebung des Sees gründlich abgesucht habt, morgen die Polizei einzuschalten.«
    Eine Frau schrie: »Es ist Blut im Hünengrab! Gib zu, dass du sie ermordet hast! Wo hast du ihre Leiche hingeschleppt?«
    Sie stürzte vor und die Treppe hinauf und versuchte gegen mich tätlich zu werden. Friedrich jedoch trat zwischen uns und hielt sie
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