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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Autoren: Bianka Minte-König
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meinen Verstand zu gebrauchen oder meine Körperfunktionen zu steuern.
    In einem dunklen Loch vegetierte ich dumpf vor michhin, wurde eine Weile durch Zwang ernährt, was ich als besonders qualvoll empfand, und fiel schließlich in einen versteinerten Zustand, den sie Katatonie nannten.
    Er erlaubte mir, mit gänzlich heruntergefahrenen Lebensfunktionen in eine todesähnliche Starre zu verfallen, in der ich keine Energie verbrauchte und ohne Nahrung überleben konnte.
    So wie meine Mutter Estelle sich nach dem Tod meines Vaters erstarrt zurückgezogen hatte, so verschloss auch ich mich vor der Welt um mich herum und sank in eine nebulöse schmerzfreie Zone zwischen Diesseits und Jenseits. Nicht mehr lebendig und auch noch nicht tot.
    So fand mich Conrad Lenz.
     
     
    C
onrad Lenz war der Sohn eines angesehenen Wiener Arztes, der es um die Jahrhundertwende zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte. Das ermöglichte ihm, trotz des frühen Todes seiner Frau Katharina, dem Sohn Conrad eine angemessene höhere Schulausbildung angedeihen zu lassen und ihm anschließend ein Studium der Medizin zu finanzieren, welches er mit dem Doktorexamen erfolgreich abschloss. Obwohl Conrad seinem Vater für diese Unterstützung dankbar war, empfand er sie jedoch auch bald als eine Einengung, denn mehr noch als die Medizin interessierte ihn die neue psychologInitialenische Wissenschaft. Deren bekanntester Vertreter Sigmund Freud praktizierte zu der Zeit in Wien und zog neben vielen anderen jungen Erforschern der menschlichen Seele auch Conrad Lenz in den Bann seiner suggestiven Persönlichkeit und seines Ideengebäudes. Conrad Lenz war von seiner Theorie fasziniert, aber erst nach seiner Rückkehr aus dem Krieg im Jahre 1918 entschied er sich endgültig für das Studium der Psychoanalyse.
    Es waren die eigenen Kriegserlebnisse und die seiner Kameraden, die ihm die Notwendigkeit einer seelischen Therapie dieser schrecklichen inneren Verwundungen klarmachten.
    Er litt selber wochenlang wie ein Hund, zog sich von aller Welt zurück und leckte seine seelischen Wunden. Der Vater, so froh er über die Rückkehr des Sohnes war, verzweifelte fast, denn er vermochte nur körperliche Verletzungen zu kurieren, nicht aber solche der Seele.
    Dieses Eingeständnis seiner eigenen Ohnmacht stimmte ihn schließlich milde, und so akzeptierte er den Wunsch des Sohnes, als Assistenzarzt nach Zürich an die Nervenklinik Burghölzli zu gehen, um dort bei dem Psychiater C. G. Jung in Theorie und Praxis alles über psychische Erkrankungen zu lernen.
    Das menschliche Elend im Burghölzli war zwar nicht dazu angetan, ihm die Leichtigkeit des Seins zurückzugeben. Aber er lernte viel, denn Jung hatte selber während des Großen Krieges eine schwere Krise durchlebt, sie jedoch als eine Art »schöpferische Krankheit« sinnvoll für die Grundlegung seiner Praxis und Lehre zu nutzen gewusst.
    Doch zu Beginn der Zwanzigerjahre brach Jung nach Indien auf, weil die Mythen außereuropäischer Kulturen in den Mittelpunkt seines Forschungsinteresses rückten, und Conrad Lenz verließ ebenfalls die Schweiz, um eine Stelle als Psychiater in einem privaten Berliner Sanatorium anzutreten.
    Allein aufgrund von Empfehlungen dort eingestellt, trafen ihn die dortigen Verhältnisse wie ein Keulenschlag. Nicht nur, dass die Patienten nach vorsintflutlichen Methoden in erster Linie statt therapiert nur ruhiggestelltwurden, erschütterte ihn, sondern auch deren körperliche wie seelische Verwahrlosung.
     
    Lenz fand mich bei seinem ersten Klinikrundgang mit Müller-Wagner in einem katatonischen Zustand in meiner Isolierzelle, die ich seit Monaten nicht verlassen hatte. In meiner spastischen Erstarrung, in der ich wie eine steinerne Statue hoffnungsloser Verzweiflung auf ihn wirken musste, schien ich ihn auf besondere Art berührt zu haben.
    Jedenfalls weckte mein erbarmungswürdiger Zustand seine Empathie und er begann sich für meinen Fall zu interessieren.
     
    Nach endlosen Tagen, Wochen, Monaten in einem Zustand zwischen Leben und Sterben schaffte es Conrad Lenz’ Stimme durch die Dumpfheit des Nichts, in das ich eingehüllt zu sein schien, bis zu meinem gelähmten Bewusstsein durchzudringen. Ich vermochte ihn tatsächlich zu hören und nach wenigen Minuten nicht nur ihn, sondern das ganze Gespräch, das er mit dem Anstaltsleiter führte. Ich verstand das wenigste davon, aber es hat sich mir aus irgendeinem unerfindlichen Grund so tief eingeprägt, dass ich es noch heute fast
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