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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Autoren: Bianka Minte-König
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vollständig rekapitulieren kann. Vielleicht, weil es meine allererste Begegnung mit Conrad Lenz war und ich deren Schicksalhaftigkeit sofort intuitiv erfasste.
     
    »Katatonie?«, sagte Lenz fragend und Erschütterung schwang in seiner Stimme mit.
    »Sehr schön, Herr Kollege, können Sie diese These belegen?«
    »Der Stupor ist unübersehbar, die Starre hat den ganzenLeib extrem erfasst«, er hob meinen Arm an, und als er ihn losließ, blieb er ausgestreckt in der Luft stehen. »Katalepsie«, folgerte er und schob den Arm wieder zurück an meinen Körper, wo er separiert von mir wie ein mechanisches Teil hängen blieb.
    »Wie sieht es mit dem Sprechen aus?«
    Der Professor zuckte die Achseln.
    »Beharrliches Schweigen seit Monaten.«
    »Also Mutismus. Wie wird sie ernährt?«
    Dem Professor wurde die Fragerei nun lästig, er konnte Lenz ja schlecht sagen, dass diese merkwürdige Patientin seit mehr als einem Jahr keinerlei Nahrung oder Flüssigkeit zu sich genommen hatte. Er würde es ihm nicht abnehmen und als unglaubwürdig wollte er nicht gelten. So reduzierte er von sich aus die Zeit auf »einige Wochen«.
    »Wir haben es mit Zwangsernährung versucht, aber sie hat alles erbrochen. Wir sind am Ende mit unserem Latein. Ich würde sagen, austherapiert, aber wenn Sie wollen … versuchen Sie Ihr Glück.«
    Der Professor lachte.
    »Junge, ehrgeizige Assistenzärzte schätzen doch solche Fälle, die die Schulweisheit nicht lösen kann, um ihr frisch erworbenes Universitätswissen an ihnen abzuarbeiten. Nicht wahr, Kollege Lenz? Und dieses Mädchen ist ein lohnendes Phänomen. Sie müsste tot sein nach aller Lehrbuchmeinung!«
    »Man sollte versuchen sie zu mobilisieren, um …«
    »Alles geschehen, Lenz«, fiel ihm Müller-Wagner ins Wort. »Ohne Erfolg … Sie müssen sich schon etwas Neues einfallen lassen. Was bringen Sie mit an frischen Verfahren von Freud und Jung, die sie als Referenzen anführen?«
    »Zuallererst wohl eine neue Sicht auf die Patienten.Nicht ihr Sein, sondern auch ihr Gewordensein muss Gegenstand der eindringlichen Beschäftigung durch den Nervenarzt sein. Tiefenpsychologische Analyse und Anamnese, erst auf dieser Basis kann dann eine auf den individuellen Fall zugeschnittene, Erfolg versprechende Heilbehandlung erfolgen. Der Psychiater ist zunächst einmal ein Analytiker und danach erst ein Therapeut.«
    »Dann hängen Sie dem Gesprächsansatz von Breuer an?«, fragte der Professor und mit einer wegwerfenden Handbewegung fügte er hinzu: »Davon verspreche ich mir nichts. Völlig veraltet und auch durch ein neues Fachvokabular des Herrn Sigmund Freud nicht zu retten!«
    »Aber Freud hat Breuers Ansatz entscheidend verbessert, indem er erklärt, welche Strukturen unser Unterbewusstsein hat, wie dieses sich in unseren Träumen spiegelt, wie seelische Verstörungen ihre Spuren dort einfräsen und zu Traumata werden, welche den Menschen gänzlich aus der Bahn werfen können …«
    »Genug, mein Freund! Sie machen mich nicht hier zwischen Tür und Angel zum Freudianer! Aber bitte, die Patientin ist die Ihre. Wenn Sie zu ihr durchdringen können, beweisen Sie mir, dass die neuen, »weichen« Methoden erfolgreicher sind als unsere »harten Kuren«, und ich ziehe den Hut vor Ihnen.«
    Es klang überheblich und in der Gewissheit gesagt, dass Lenz selbstverständlich scheitern würde.
    »Erzählen Sie mir ihre Geschichte«, ließ Lenz sich nicht beirren. »Warum ist sie hier? Welche Symptome von Wahnsinn zeigte sie … gibt es erbliche Vorbelastungen …?«
    Schritte entfernten sich, die Tür fiel ins Schloss und ich sank zurück in die Starre meiner todesnahen Einsamkeit.Lenz begann sich sofort intensiv mit mir zu beschäftigen. Er ließ mich von einem Pfleger in einen Rollstuhl setzen und schob mich höchstpersönlich zu Professor Müller-Wagner in dessen Sprechzimmer.
    Vielleicht war das etwas aufdringlich, aber mein Fall hatte offenbar seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz geweckt, und so stürzte er sich voller Enthusiasmus auf die Aufgabe, mich zurück ins Leben zu holen. Aber als der Professor ihn mit mir sah, schüttelte er missbilligend den Kopf.
    »Lenz, ich habe Ihnen die Patientin anvertraut, das heißt, ich wünsche nicht weiter involviert zu werden. Wenn Sie Erfolge vorzuweisen haben, melden Sie sich, doch bis dahin ist die Akte dieser Patientin für mich geschlossen. Sie ist ein hoffnungsloser Fall!«
    Auf die beharrliche Nachfrage von Lenz fügte er jedoch hinzu: »Eine wirklich traurige
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