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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau
Autoren: Fred Vargas
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Fläschchen. »Sie hat Wasser vom Hahn geholt, um die Mischung zuzubereiten, und wollte sie gerade trinken.«
    Er hob die Hand, drehte das Flakon vorsichtig unterm Licht der Lampe und betrachtete den dickflüssigen Inhalt darin, während seine Männer auf die Flasche starrten, als wäre sie die heilige Phiole {8} .
    »Sie ist klug«, sagte Adamsberg. »Aber sie hat so ein leises Omega-Lächeln an sich, ein siegesgewisses, listiges Lächeln, das sie schlecht verbirgt. Und sie lächelte, als sie sicher war, ich würde glauben, die Mischung befände sich bei ihr zu Hause. Also war das Flakon woanders. Sie hatte es natürlich bei sich.«
    »Warum haben wir es ihr nicht aus der Tasche genommen?« bemerkte Mordent. »Das war riskant, die Klotür ist ziemlich stabil.«
    »Weil ich vorher ganz einfach nicht daran gedacht habe, Mordent. Ich schließe das Flakon im Safe ein. Ich komme gleich nach, wir gehen.«
     
    Eine halbe Stunde später schloß Adamsberg die Tür seines Hauses zweimal von innen ab. Behutsam holte er das braune Flakon aus seiner Jackentasche und stellte es auf die Mitte des Tisches. Dann leerte er eine kleine Flasche Rum in das Spülbecken, reinigte sie, steckte einen Trichter hinein und goß langsam die Hälfte der Mischung hinein. Morgen würde das braune Flakon ins Labor wandern, es blieb noch genug von der Medikation übrig, um das Ganze zu analysieren. Durch das dunkle Glas hatte niemand erkennen können, wieviel Flüssigkeit genau darin war, niemand würde erfahren, daß er einen ordentlichen Teil davon entnommen hatte.
    Morgen würde er Ariane in ihrer Zelle besuchen. Und ihr unauffällig die kleine Flasche übergeben. Auf diese Weise würde die Gerichtsmedizinerin heitere Tage im Gefängnis verbringen, in der Gewißheit, lange genug zu leben, um ihr Werk irgendwann fortsetzen zu können. Sobald er ihr den Rücken gekehrt hätte, würde sie das Gesöff schlucken und wie ein sattgetrunkener Dämon in den Schlaf sinken.
    Und warum, fragte sich Adamsberg, während er sich wieder aufrichtete und die beiden Flaschen in seine Jackentasche steckte, legte er Wert darauf, daß Ariane heitere Tage verbrachte? Wo ihm ihr heiserer Schrei doch noch in den Ohren klang, gellend vor Grausamkeit und Wahn? Weil er sie ein klein wenig geliebt, ein klein wenig begehrt hatte? Nicht einmal das.
    Er trat ans Fenster und sah in den dunklen Garten hinaus. Der alte Lucio pinkelte unter den Haselnußstrauch. Adamsberg wartete eine Weile und ging dann zu ihm. Lucio betrachtete den bezogenen Himmel und kratzte seinen Biß.
    »Du schläfst nicht, hombre? « fragte er. »Bist du fertig mit deiner Aufgabe?«
    »So gut wie.«
    »War wohl schwer, was?«
    »Ja.«
    »Die Männer«, seufzte Lucio. »Und die Frauen.«
    Der Alte entfernte sich in Richtung Hecke und kam mit zwei kleinen Flaschen Bier zurück, die er mit den Zähnen öffnete.
    »Du sagst doch Maria nichts davon, oder?« sagte er und reichte Adamsberg eine Flasche. »Frauen zerbrechen sich dauernd wegen irgendwas den Kopf. Weil sie die Arbeit gern gründlich machen, versteh mal. Dagegen geht’s bei Kerlen dauernd hin und her, am Ende schludern sie was hin, machen’s fertig oder geben’s auf. Eine Frau dagegen kann ein und derselben Idee tagelang nachhängen, monatelang, nicht mal ein Bier muß sie zwischendurch zischen.«
    »Heute habe ich eine Frau verhaftet, kurz bevor sie fertig war mit ihrem Werk.«
    »Einem großen?«
    »Riesenhaft. Sie war dabei, einen Teufelstrank zuzubereiten, den sie um jeden Preis trinken wollte. Und ich habe mir gedacht, es wäre besser, sie trinkt ihn zu guter Letzt wirklich. Damit ihre Arbeit wenigstens halbwegs beendet ist. Nicht wahr?«
    Lucio trank sein Bier in einem Zug aus und warf die Flasche über die Mauer.
    »Natürlich, hombre. «
    Der Alte ging nach Hause, und Adamsberg pinkelte unter den Haselnußstrauch. Natürlich, hombre. Sonst würde sie der Biß noch bis ans Ende ihrer Tage jucken.

65
    »Hier, Veyrenc, werden wir die Geschichte zu Ende bringen«, sagte Adamsberg und blieb unter einem großen Nußbaum stehen.
    Zwei Tage nach der Verhaftung von Ariane Lagarde und angesichts des Aufsehens, das dieses Ereignis erregte, hatte Adamsberg das dringende Bedürfnis verspürt, seine Füße ins Wasser des Gave zu tauchen. Er hatte zwei Fahrkarten nach Pau gelöst und Veyrenc mitgenommen, ohne ihn nach seiner Meinung zu fragen. Sie waren im Ossau-Tal angekommen, und Adamsberg hatte seinen Kollegen über den Chemin des Rocailles zur
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