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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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dazunimmt. Aus diesem Grund sind die Damen längst übereingekommen, keine Küsse zu geben, sondern sie sich lieber nehmen zu lassen, die Küsse und das andere.
    Auch der Florentiner war unterdessen längst nicht mehr beim ersten, und die Berauschtheit machte ihn so kühn, daß er von dem letzten Ziel seiner Wünsche nur noch um einen Strohhalm entfernt war, als die Dame, die sich durchaus in der Gewalt hatte, plötzlich ausrief:
    »Mein Mann!«
    Erschien in der Tat der Hausherr, der vom Ballspiel zurückkam, auf der Schwelle, und der Bildhauer konnte entwischen, nicht ohne von seiner Angebeteten einen Blick voll Liebe und Bedauern mit auf den Weg zu nehmen.
    Das war all sein Glück, Schmerz, Hoffnung und Verzweiflung während eines Monats. Immer in dem Augenblick, wo er im Begriffe stand, die Schwelle seines Paradieses zu überschreiten, erschien der Herr Gemahl auf der Schwelle des Gemachs, erschien wie verabredet immer zwischen einer Weigerung und einer zärtlichen Besänftigung, womit die Damen ihre Körbchen, die sie geben, gleichsam wie mit Rosen bekränzen und dem Verliebten Mut machen, sich immer neuen Niederlagen auszusetzen und neue Körbe zu holen.
    Der Bildhauer aber wurde mit der Zeit ungeduldig und begann von da an den Kampf immer sofort bei seiner Ankunft. Auf diese Weise hoffte er, früher zum Sieg zu gelangen, als der Herr Gemahl nach Hause kam, um die Frucht der Liebe zu genießen, die in dem Feuer des andern gerade reif geworden. Die schöne Dame aber, die ihm seine Absicht an den Augen ablas, vereitelte durch ihr verändertes Betragen alle seine Hoffnungen. Sie verstand es aufs vortrefflichste, jeden Abend einen andern Zank vom Zaun zu brechen, jeden Abend eine andre Komödie zu spielen und ihn nach ihrem Belieben hinzuhalten. Bald machte sie die Eifersüchtige, daß er sich in langen Liebesschwüren ergehen und schon glücklich sein mußte, wenn sie sich ihm nur einigermaßen wieder gnädig zeigte, in welchem Moment ihn dann ein flüchtiger Kuß das Höchste deuchte. Bald versuchte sie es mit hinhaltenden Worten, öffnete alle Schleusen ihrer femininen Beredsamkeit, gab ihm eine Lektion nach der andern in der höheren Philosophie der galanten Liebe, setzte ihm lang und breit auseinander, wie er vernünftig zu sein, wie er sich zu kuschen habe, wie der Wille der Herrin ihm höchstes Gesetz sein müsse, wenn er erwarte, daß sie ihm ihre Seele und ihr Leben gebe, und daß nicht viel dazu gehöre und es wenig heißen wolle, der Geliebten seine Wünsche entgegenzubringen, die ihrerseits viel mehr Mut nötig habe, mehr Liebe und mehr Wagnis, die tausendmal mehr opfere, tausendmal mehr aufs Spiel setze ... Solche weise Reden unterbrach sie dann gelegentlich mit einem: »Laßt das!«, ausgesprochen mit dem Ton und der Miene einer erzürnten Königin, und wenn sich Cappara über ihre Härte beschwerte, sagte sie schmollend:
    »Wenn Ihr nicht so sein wollt, wie ich Euch mir wünsche, werde ich Euch nicht mehr lieben.«
    Kurz, der arme Italiener merkte endlich, daß er es nicht mit einem edlen und großen Herzen zu tun habe, einem Herzen, das nicht mit der Liebe schachert wie ein Krämer mit seiner Ware, vielmehr daß die Schöne sich ein Vergnügen daraus mache, ihn zappeln zu lassen an ihren Fäden und ihn mit faden Süßigkeiten hintanzuhalten und ihm alles zu gewähren, nur nicht das eine.
    Cappara wurde wütend bei dieser Erkenntnis und beschloß, sich zu rächen. Er verabredete mit seinen Freunden, daß sie den Gemahl, wenn er abends aus der Gesellschaft des Königs zurückkehrte, ergreifen und an einem sicheren Orte festhalten sollten. Er selber begab sich zur gewohnten Stunde zu der Dame, wo alsbald das alte Spiel begann mit geraubten Küssen, mit zerwirrten Kleidern und Haaren, mit verliebten Bissen in den Arm, ins Ohr, in den Nacken, kurz, das ganze bekannte Geplänkel mit alleinigem Ausschluß dessen, was die anständigen Autoren mit Recht abscheulich finden.
    »Mein süßer Schatz«, sagte der Florentiner nach einem etwas längeren Kuß, »liebst du mich auch über alles in der Welt?«
    »Ich liebe dich über alles in der Welt«, antwortete sie. Denn mit Worten war sie immer freigebig.
    »Wenn du mich also liebst«, entgegnete er, »so gehöre mir auch ganz.«
    »Wenn ich sicher wäre vor meinem Gemahl.«
    »Ist es nichts als das?«
    »Nichts als die Furcht.«
    »Ich habe mit meinen Freunden verabredet, daß sie ihn heute abend ergreifen und so lange festhalten, bis ich einen Leuchter an das
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