Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Angelo und verliebte sich in den knabenhaften Wundertäter, der verstohlen nach den Gestrengen hinschielte und bei sich schwur, daß er die erste beste, die ihm auch nur einen Finger zum Küssen reichen sollte, haben wollte ganz und gar, mit Haut und Haar.

     
    Eine dieser Damen, eine solche hohen Geblüts, wandte sich eines Tages ohne weiteres in Person an den herzigen Jüngling und fragte ihn, warum er so den Scheuen spiele und ob es wohl keiner der Damen am Hof gelingen werde, ihn zu fesseln. Und unter vielen Schmeicheleien lud sie ihn für den Abend zu sich ein.
    Und Meister Angelo beeilte sich, sich zu parfümieren, sich einen samtenen Mantel mit seidenen Fransen zu kaufen, sich bei einem Freund ein Wams mit langen Ärmeln und ein Paar durchbrochene, mit Seide gefütterte Pluderhosen zu leihen und also ausgerüstet die Treppe hinaufzusteigen zu seiner Schönen, die Seele geschwellt von Hoffnung und nicht wissend, wohin mit seinem Herzen, das hüpfte wie ein Zicklein am Ostermorgen, so groß war seine Liebe, so voll war er davon zum voraus.
    Die Dame war nämlich wirklich schön, und Angelo Cappara wußte es besser als irgendeiner; denn als Meister seines Handwerks hatte er sich eine vollkommene Kennerschaft erworben in Sachen des menschlichen Körpers und wußte Bescheid über seine Linien und Proportionen in Armen und Beinen und Hals und Brust und sonstigen kallipygischen Mysterien. Diese Dame aber erfüllte nicht nur alle noch so strengen Forderungen seines Künstlerauges, sie war nicht nur weiß wie ein Schwan und von zierlichen Formen, sie hatte außerdem eine Stimme, die tief zu Herzen drang oder wo sonst das Leben sitzt, um es aufzupeitschen und Seele und Hirn und alles in Flammen zu setzen. Kurz, sie war derart, daß sie in der Phantasie vom ersten Augenblick an die wollüstigen Bilder von Dingen aufregte, an die sie doch, worin eben die Stärke dieser verdammten Weibsen liegt, selber gar nicht zu denken schien.
    Der Bildhauer fand sie in einem hohen Sessel am Kaminfeuer sitzend, und alsbald fing sie an, ihn mit ihrem süßen Geplauder ganz einzuspinnen, während Meister Angelo in seiner Schüchternheit nichts zu kennen schien von ihrer Sprache als ›Ja‹ und ›Nein‹ und außer den beiden armselig kahlen Vokabeln kein Wort in seiner Kehle und in seinem Gehirn keinen noch so kleinen Gedanken fand, so daß er sich wie der ärmste Tropf der Welt vorgekommen wäre, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, sie anzuschauen und ihr zuzuhören, deren Geplauder so wohlig klang wie das Gesumse einer Mücke, die in einem Strahl der Frühlingssonne tanzt.
    Seine stumme Bewunderung hinderte aber nicht, daß beide bis gegen Mitternacht zusammenblieben, daß sie ihn immer fester an sich fesselte mit den Rosenketten der Liebe und daß er mit noch kühneren Hoffnungen von ihr Urlaub nahm, als die waren, mit denen er gekommen. Wenn eine so vornehme Dame, sagte er bei sich, einen vier Stunden in der Nacht an ihre Röcke heftet, so kann es nicht fehlen, daß sie ihn das nächstemal bis zum Morgen bei sich behält. Unter solchen Erwägungen wurde er immer entschlossener und nahm sich vor, nicht jede Nacht mit Präludien vorliebzunehmen. In seiner erhitzten Phantasie tötete er schon den Ehemann, der dazwischentrat, dann wieder die Frau in seiner Wut, dann sich selber aus Verzweiflung. Die Liebe war ihm schon so über den Kopf gewachsen, daß ihm das Leben in diesem Spiel ein geringer Einsatz, ein Tag mit der Geliebten mehr dünkte als tausend Leben.
    Den ganzen Tag, während er auf seinen Stein einhieb, dachte er nur an den Abend, hieb oft daneben und verdarb manche Nase, während er ganz andre Dinge vor Augen hatte. Und um nicht noch größeren Schaden anzurichten, warf er Meißel und Feile von sich, schmückte sich und eilte zu seiner Schönen, in der festen Hoffnung, ihre süßen Schmeichelreden unvermerkt in Handlungen hinüberzuleiten. Aber in der Gegenwart seiner Herrin und getroffen vom Strahl weiblicher Majestät, fühlte sich der arme Cappara, so gewalttätig in Gedanken, in das frömmste Lämmlein verwandelt.
    Nach und nach jedoch wurde er kühner und kühner, und nicht allzu lange dauerte es, so hatte er sich bereits mit List und Gewalt einen Kuß geraubt. Das war mehr, als wenn sie ihn freiwillig gegeben hätte. Denn wenn eine Dame einen Kuß gibt, kann sie ihn das nächstemal verweigern; wenn sie sich ihn aber rauben läßt, ist sie nicht imstande, zu verhindern, daß ihr der Geliebte zu dem einen tausend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher