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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Fenster stelle. Wenn er sich beim König beklagen sollte, werden sie sagen, sie hätten ihn für einen der Unsrigen gehalten, dem sie einen Possen spielen wollten.«
    »Oh, mein Freund«, antwortete sie, »so laß mich einen Augenblick, daß ich nachsehe, ob meine Leute zu Bett gegangen und alles im Hause ruhig ist.«
    Mit diesen Worten erhob sie sich und stellte das Licht ans Fenster. Als der Florentiner das sah, löschte er die Kerze, ergriff seinen Degen und richtete sich stolz auf vor dem Weibe, dessen verächtliche kleine Seele er nun erkannte.

     
    »Ich werde Euch nicht töten, schöne Frau«, sprach er; »nur zeichnen will ich Euch im Gesicht, daß es Euch nicht wieder einfallen soll, mit der Liebe und dem Leben eines armen Verliebten Euer elendes Spiel zu treiben. Ihr seid schamlos mit mir umgegangen, Ihr seid keine ehrsame Frau. Ihr wißt wohl, was Ihr mir hundertmal mit Euren Küssen versprochen habt, und Ihr dachtet nicht daran, Euer Versprechen zu halten. Ihr habt mir meine Jugend vergiftet, Ihr habt mir mein Leben vernichtet, das ich von mir werfe wie ein schlechtes Kleid. Ihr seid schuld an meinem Tod, Ihr sollt ewig daran denken. Nie mehr wieder sollt Ihr in Euren Spiegel schauen, ohne neben Eurem Gesicht das meinige zu erblicken.«
    Er erhob seine Waffe, um sein Vorhaben auszuführen.
    »Ihr handelt unritterlich«, rief ihm die Dame zu.
    »Schweigt!« sagte er. »Ihr habt behauptet, mich über alles zu lieben. Jetzt sagt Ihr andere Dinge. Ihr habt mich jede Nacht hierhergelockt, Ihr habt mich jeden Abend ein wenig höher zum Himmel erhoben, aber nur, um mich jedesmal um so tiefer in die Hölle zu stürzen, und nun glaubt Ihr, daß Euer Weiberrock Euch schützen könne vor der Wut eines gefoppten Geliebten?«
    »Oh, mein Angelo«, rief sie voll Verwunderung über die Kraft seiner Liebe, die sie in Rache verwandelt sah, »nimm mich, mein Angelo, ich will dir gehören mit Leib und Leben.«
    Er aber wich einen Schritt zurück:
    »Aha«, zischte er, »elende Kurtisane, du liebst dein Gesicht mehr als deinen Geliebten.«
    Sie erblaßte und hielt ihm demütig ihr Gesicht hin; denn sie begriff, daß ihre augenblickliche Liebe ihre lange Falschheit nicht gutmachen konnte.
    Angelo aber schnitt ihr eine Wange aus dem Gesicht, eine frische blühende Wange mit den Spuren seiner Küsse, ja noch feucht von seinem letzten, schnitt sie ihr ab und warf sie ihr vor die Füße und verließ das Haus und das Land.
    Ihr Gemahl war nicht weiter behelligt worden, da die Italiener das Licht am Fenster gesehen; er fand seine Frau ohne die linke Wange, versuchte aber vergeblich, ein Wort aus ihr herauszulocken. Seit ihrer Verwundung liebte sie Cappara mehr als ihr Leben. Da aber niemand ins Haus zu kommen pflegte als der Florentiner, beschwerte sich der Eheherr beim König, der den Tod des Bildhauers befahl und eine reitende Stafette hinter ihm herjagen ließ. In Blois wurde der Flüchtling eingeholt. An dem Tage aber, da er gehängt werden sollte, kam einer vornehmen Dame die Laune an, den mutigen Mann zu retten, der ihr wie keiner das Zeug zu einem Geliebten zu haben schien. Sie erbat sich also den Verurteilten vom König zum Geschenk, der ihr gern den Gefallen tat. Aber Cappara erklärte, daß er die geschundene Dame noch immer über alles liebe und die Erinnerung an sie niemals aus seinem Herzen verbannen könne. Er trat in einen religiösen Orden und wurde ein großer Gelehrter, später ein mächtiger Kardinal. Als solcher pflegte er in seinen alten Tagen gern zu sagen, daß er sein Leben lang nur gelebt habe von der Erinnerung an jene armen qualvollen Stunden, in denen ihn seine Dame so unglücklich und doch so glücklich gemacht. Einige Autoren behaupten, er sei später, nachdem ihre Wange geheilt war, weitergekommen bei dieser Dame als bis zu den Unterröcken. Aber ich glaube es nicht, denn dieser Italiener war ein Mann mit starkem Herzen und einem hohen poetischen Sinn; er hatte einen andern Begriff als die gemeinen Seelen von den heiligen Entzückungen der wahren Liebe.
    Diese Anekdote enthält weiter keine Lehre, als daß man im Leben schlimme Begegnungen haben kann; dafür ist sie aber auch wahr und wahrhaftig in allen Punkten. Möge es um ihretwillen dem Autor verziehen werden, wenn er an andern Orten die Dame Wahrheit manchmal etwas allzu mutwillig auf den Kopf gestellt hat.

Epilog des zweiten Zehent

     
    Obwohl dieses zweite Zehent an seiner Fassade die Aufschrift trug, welche besagte, daß es bei Schnee und
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