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Die drei Schmiede ihres Schicksals

Die drei Schmiede ihres Schicksals

Titel: Die drei Schmiede ihres Schicksals
Autoren: Adalbert Stifter
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Moment zurückweisen - und dann das, daß wir sie uns schon jenseits jenes Vorhanges denken müssen, der so geheimnisvoll zwischen Diesseits und Jenseits hängt, daß sie schon wissen, wie es ist - und dennoch mit dem ehernen Schweigen da vor unsern Augen liegen, fremde Bürger einer andern Welt. Wer mag die Tote vor meinen Augen - wer mag sie einst gewesen sein? Welchen Unterschied auch die Menschen im Leben machen, wie nichtigem Flitter sie auch Wert geben, ja wie sehr sie sich auch bemühen, diesen Unterschied bis über das Grab fortzupflanzen: der Tod macht alles gleich, und vor ihm sinkt lächerlich nieder, was wir uns hienieden bemühen wichtig zu finden.
    Mitleidig wandte ich mich ab, um weiterzugehen; da sah ich, daß ich bereits allein war, und die Lichter meiner Freunde schon fern und klein in einem Gange hinabschwebten. Mit raschen Schritten ging ich nach - es wollte mich fast wie Furcht überkommen.
    "Hier stehen wir gerade unter dem Hochaltare der Kirche", sagte ein Führer und leuchtete mit der Fackel gegen das Gewölbe empor. Wir waren zufällig in dem Augenblicke alle stille, und da hörten wir deutlich in langen schweren Tönen die Orgel aus der Kirche heruntertönen. Wie durch Verabredung blieben wir stehen und horchten einige Augenblicke, bis die Orgel schwieg und dann wieder in höheren sanfteren Tönen anhob, die wunderbar deutlich und lieblich durch die Gewölbe zu uns herabsanken - es mußte gerade Nachmittagsgottesdienst sein - und wie eine holde goldene Leiter, schien mir's, gingen diese gedämpften Töne von den geliebten Lebenden zu uns hernieder.
    Endlich schwieg alles, und wir gingen weiter. Wie doch die Musik wunderbar auf unsere Seele wirkt! Ich brauchte einige Zeit, um mich wieder zu orientieren, wo ich sei, und meine Phantasie wieder an diese unterirdischen Gemächer zu gewöhnen, und doch war es wahrscheinlich nur das sogenannte Segenlied gewesen, was wir herunter gehört hatten.
    Wir traten nun wieder in eine neue Halle, und wie ich um die Ecke des Pfeilerbogens komme und vor mich hinleuchte, erschrak ich heftig. Es war ein seltsamer gespenstiger Anblick in dieser Halle, und überwältigend für Gefühl und Phantasie. Ein Berg von Moder stieg gegen die Gewölbemauer empor; aus ihm ragten Lappen von Gewändem heraus, mitunter Holzsplitter, oder es blickte ein Arm hervor, oder ein Fuß mit allen Zehen, oder eine zusammengekrümmte Gestalt saß auf demselben, eine andere lag der Länge nach, wieder andere standen aufrecht, und obwohl sie einst unverletzt gewesen waren und ihrer Art nach bleiben konnten, so mochte doch schon der Mutwille an ihnen manches verübt haben; denn viele derselben waren zerrissen, daß ein Arm herabhing, oder der Kopf oder Glieder ganz fehlten - vielleicht hat auch teilweise Verwesung das Ihrige getan.
    Seltsam ist es, die Körper sind geblieben, und die Gewänder sind fast alle zerstäubt und vermodert, nur wo sie durch Schutt gesichert waren, haben sich ganze Lappen erhalten und waren sogar erkennbar, meistens Linnen und Seidenzeug, welches letztere ganz besonders stark und fest gearbeitet war.
    Wie wir nun so dastanden in der Versammlung von längst verstorbenen unbekannten Menschen, die vor Jahrhunderten hiehergebracht wurden, um zu verwesen, und die aber nun ihren Ururenkeln dieselben Züge weisen müssen, die man einst, davor grauend, mit einem Tuche zugehüllt und in einen Sarg verborgen hatte - und wie das reine weiße Wachslicht oder die dunkelrote Glut der Fackeln, die wir trugen, über die Gesichter und Glieder der Toten lief und darinnen schweren Kampf oder starre Ruh oder häßlich Grinsen wies: so waren wir alle bis in das Innerste erschüttert.
    Wir fragten die Führer, ob man denn gar nicht mehr weiß, wer einer von denen gewesen sein möge, die wir da vor uns haben?
    "Es mag wohl im Pfarrarchive zu finden sein", antwortete er, "wer überhaupt herab begraben worden ist, aber da es schon viel über hundert Jahre sein mag, daß man niemanden mehr herab begraben hat, so kann man auch gar nicht wissen, wer dieser oder jener sei. Sie haben einmal sehr getrachtet, in die Stephansgruft begraben zu werden, damit sie ein vornehmes und ungestörtes Begräbnisplätzchen hätten."
    Ein vornehmes und ungestörtes Begräbnisplätzchen! Als ob irgend auf der Erde etwas Ungestörtes, etwas Unvergängliches wäre! Ja, ist nicht am Ende sie selber vergänglich und wird eine Leiche so wie die, die man jetzt so sorglich in ihrem Bauche verbirgt?
    Mir fiel die Sage
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