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Die drei Schmiede ihres Schicksals

Die drei Schmiede ihres Schicksals

Titel: Die drei Schmiede ihres Schicksals
Autoren: Adalbert Stifter
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weniger als ungestört blieb, haben sich aber jene, deren Rang oder Reichtum es erlaubte, noch ganz andere festere sicherere Grabesstätten auserwählt; nämlich nicht nur unter dem ganzen riesenhaften Baue von St. Stephan, sondern auch rückwärts hinaus unter dem ganzen Platze, ja selbst bis unter die umliegenden Häuser, wie z. B. bis unter das sogenannte Deutsche Haus, unter die Post, ist ein System von Gewölben und Gängen, nach Art unserer Voreltern äußerst fest gebaut, und man weiß heutzutage noch gar nicht, wie weit sie sich erstrecken. Sie sind hier unter dem Namen der Katakomben von St. Stephan bekannt und waren lauter Begräbnisstätten, gleichsam eine weitläufige unterirdische Totenstadt. Jedoch trotz der dickern Mauern, aus denen diese Zellen, als Fundament der Kirche, aufgeführt sind, trotz der Quadern, womit Gänge, Gemächer und Bogen überwölbt sind, ja trotzdem daß jedes Gewölbe, wenn es mit Toten gefüllt war, zugemauert wurde, fanden dennoch die hier liegenden Schläfer die beabsichtigte Ruhe nicht, so wie sie ihre ärmeren Brüder nicht gefunden, die man über ihnen auf dem Friedhofe in bloßer Erde eingegraben hatte. Manche Gänge, manche Gewölbe wurden im Laufe der Zeit geöffnet. Die einen lockte Neugierde; die andern jenes Schauergefühl, das den Menschen über Tod und Ewigkeit ergreift und ihn doch lockt, solche Stätten zu betreten, wo es erweckt wird; wieder andere wurden durch frevlen Vorwitz hingeführt, so daß Menschenhände, teils fromm ordnend, teils mutwillig zerstörend, das vollendeten, was Zeit und leise Verwesung begonnen hatten, nämlich einen ganz andern Zustand der hier verborgenen Reste hervorzubringen, als den die beabsichtigten, welche sie hier verbargen.
    Wir wollen in folgenden Zeilen einen Gang durch diese Katakomben beschreiben.
    Es war ein feuchter, neblichter Novembernachmittag, als wir uns, fünfe an der Zahl, auf dem nassen Pflaster des St. Stephansplatzes, rückwärts der Kirche, wo der Turm emporsteigt, einfanden. Ein Freund hatte uns versprochen, uns in die Katakomben zu führen. Wir standen lachend und scherzend, als wir ihn erwarteten, und machten Bemerkungen über das trübselige Wetter und die Unpünktlichkeit des Freundes; aber nach einer Stunde war es ganz anders: nie werde ich den Eindruck vergessen, den diese Stunde unterirdischen Aufenthaltes in mir hervorbrachte.
    Als wir einige Zeit gewartet hatten, erschien der Freund und mit ihm zwei Führer, weil er, obwohl schon öfter unten, doch nicht sicher war, sich und uns vor Verirrung zu bewahren. Nicht von der Kirche aus, wie ich wähnte, war der Hinabgang, sondern einer der Führer winkte uns an ein Haus des Platzes, das einen vorspringenden Winkel bildet und Wohnparteien und Handelsgewölbe enthält - es liegt mit dem Winkel schief gegenüber der Wohnung des Küsters, die sich im Erdgeschosse des Stephansturmes befindet.
    An diesem Hause sperrte er eine dunkle schwarze hohe Türe auf, an der ich wohl hundertmal vorübergegangen war, und die ich immer für die zufällig zugemachte Hälfte des Tores einer Bude gehalten hatte. Als wir eingetreten waren, befanden wir uns in einem schmalen Gange; der Führer schloß hinter uns die Türe wieder zu, und der andere machte Licht, woran er eine Fackel und wir jeder unsere Wachskerze anzündeten, und dann ging es nicht über eine Treppe, sondern wie über einen sanften Gang abwärts; ein schwacher Tagesschein fiel in das erste Gewölbe durch einen schmalen Schacht herab, der in den Hof des Deutschen Hauses mündete. Dieses Gewölb war gleichsam eine Vorhalle, und es lagen Stangen, Stroh, Bretter, Tragbahren und dergleichen in dem Winkel, alles von seltsamem, veraltetem Ansehen.
    Dann kamen wir in allerlei Gänge und Gewölbe, die leer waren. Nach Art unserer Voreltern sind die Gänge schmal, und die Gewölbe verhältnismäßig klein und niedrig, aber das Mauerwerk fest und dicht, als wäre es aus einem einzigen riesenhaften Granitblock gehauen worden. Ob wir in diesen Gängen nach Ost oder West, nach Nord oder Süd gingen, konnte keiner von uns erkennen, und da sie sich vielfach kreuzten und die gewölbten Zellen sich alle ähnlich sahen, so war es uns einleuchtend, daß man sich hier verirren und stundenlange herumsuchen könnte, ohne den Ausgang zu finden. Endlich kamen die ersten Bewohner dieser stillen finstern Stadt, nämlich: wie Holz aufgeschichtet, viele Klafter lang und hoch, lauter Knochen von Armen und Füßen - es überläuft einen ein
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