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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Autoren: Benjamin Constable
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und musstest nicht draußen übernachten.«
    »Warum hast du mich so lange eingesperrt, wenn du sowieso hier unten sterben wolltest?«
    »Das war meine einzige Idee, wie ich dich hier rausbringen konnte. Ich hätte es auch lieber anders gemacht. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass mir noch was Besseres einfällt, war aber nicht der Fall. Hey, Ben Constable?«
    »Ja?«
    »Würdest du mich vielleicht in den Arm nehmen?«
    »Okay.« Bei so etwas werde ich einfach weich.
    Ich setzte mich neben sie auf den Boden und sie lehnte im Dunkeln den Kopf an meine Brust. Sie begann zu hyperventilieren und zitterte. Ich strich ihr übers Haar.
    »Stirbst du wirklich?«
    »Ja.«
    Die eine Hälfte meines Herzens brach, die andere jedoch war plötzlich wie aus Stein. Ich würde ganz bestimmt nicht noch einmal auf einen ihrer Tricks reinfallen. Na toll, jetzt wurde ich auch noch zum Zyniker.
    »Scheiße. Tut mir leid, dass ich dich nicht retten konnte.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken. Ich wollte überhaupt nicht gerettet werden.«
    »Okay, tut mir leid, dass ich so in deine unterirdische Traumwelt geplatzt bin.«
    »Ach, na ja. Das konntest du ja nicht wissen.«
    »Es muss doch ein besseres Ende geben.«
    »Ich sterbe gerade in deinen Armen. Was willst du denn noch mehr?«
    »Ich will, dass du mitkommst und wir noch weitere Abenteuer erleben. Wir könnten ausziehen und hehre Taten vollbringen, genau wie du geschrieben hast.«
    »Windmühlen.« Jetzt weinte sie wieder. »Diese ganzen Riesen waren bloß Windmühlen. Ich glaube, ich sollte meine Ritterkarriere an den Nagel hängen.«
    »Nein, sie waren echt, das verspreche ich dir.«
    »Warum sagst du das?«
    »Ich finde, du solltest nicht so desillusioniert sterben, Butterfly.«
    »Ich glaube, es ist sowieso ein bisschen spät, um die Neurosen eines ganzen Lebens abzulegen.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Schreibst du ein Buch über mich?« Sie grub ihre Finger in meine Haut, klammerte sich an mir fest.
    »Möchtest du das?«
    »Ja.«
    »Darf ich deine E-Mails und Briefe und Notizbücher dafür verwenden?«
    »Die Bücher, die ich dir geklaut habe, sind in der Tüte.« Ihre Stimme brach.
    »Danke«, sagte ich.
    »Ich glaube, sie haben das Licht gedimmt«, krächzte sie.
    »Vielleicht bringen sie gleich eine Geburtstagstorte.«
    »Ich habe nicht Geburtstag. Du?«
    »Nein, aber bald.«
    »Hast du dieses Jahr mit dreißig Frauen geschlafen?«
    »Na ja, noch habe ich ja nicht Geburtstag, aber bisher nicht, nein.«
    »Ach, egal. Vielleicht nächstes Jahr«, flüsterte sie.
    »Wie wäre es denn damit als Ende? Wir könnten eine Abmachung treffen, der zufolge ich jetzt nach Hause gehe und in dem Buch, das ich über dich schreibe, behaupte, bei dir gewesen zu sein, als du gestorben bist, nur dass du in Wirklichkeit gar nicht stirbst, sondern hier unten weiterlebst. Ich würde keiner Menschenseele davon erzählen und nie wieder versuchen, dich zu kontaktieren oder zu besuchen, und du wärst frei und könntest glücklich sein. Ich würde mein Leben zu hundert Prozent an diese Lüge anpassen, bis ich sie irgendwann selbst glaube. Ich schwöre dir, ich kriege das hin. Stirb nicht, Tomomi Ishikawa. Nicht schon wieder, bitte.« Ich drückte sie ein wenig, aber sie rührte sich nicht und gab auch kein Geräusch mehr von sich.
    »Butterfly?«
    Ich legte die Hand auf ihr Zwerchfell. Sie atmete noch; kurze, schnelle Atemzüge, die plötzlich aufhörten. Reflexartig hielt ich ebenfalls die Luft an und in dem Moment, als ich nicht mehr konnte, brach ihr Körper in heftige Krämpfe aus. Die Wucht, die dahintersteckte, war unglaublich. Ich hielt sie so fest wie möglich, damit sie sich nicht verletzte. Ein paar Minuten lang hielten die Krämpfe an, bis sie schließlich in vereinzeltes Zucken übergingen. Erst dann schluchzte ich auf und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, was hier vor sich ging.
    »Schh. Es ist alles gut«, log ich. »Alles ist gut.«
    Sie wurde wieder schlaff in meinen Armen. Ich legte abermals die Hand auf ihr Zwerchfell und diesmal regte sich nichts. Ich fühlte ihren Puls. Er war noch da. Ihr Herz schlug schwach, in einem willkürlichen Rhythmus, und die Pausen zwischen den Schlägen waren viel zu lang.
    »Schh.«
    Sie saß auf einem Felsen am Fluss und ein Grüppchen von Kindern bewegte sich über eine niedrige Holzbrücke auf sie zu, sie machten eine Pause auf einer kleinen Insel in der Mitte des Flusses, um Wildblumen zu pflücken. Als sie an ihr
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