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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Autoren: Benjamin Constable
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sein.
    Ich fand den Edelstahl-Kuli in meiner Tasche und versuchte, ein Loch zu kratzen, durch das ich fliehen konnte. Ich verbrachte Stunden damit. Stunden um Stunden. Der Stift begann sich abzunutzen und am Ende hatte ich eine Kerbe von etwa fünf Zentimetern Länge und einem guten Zentimeter Tiefe geschafft. Ich weiß nicht, wohin mich das Loch eigentlich hätte führen sollen. Meine Hoffnung, dass der Kugelschreiber mich retten würde, schwand.
    »Butterfly!«, schrie ich. Vielleicht war sie auch gar nicht mehr da. Ich konnte mich nicht erinnern, ob ich die Tür gehört hatte. »Butterfly! Ich weiß jetzt, warum du so verrückt bist.« Ich wartete, doch sie reagierte nicht. »Weil du dich nur von Joghurt ernährst. Kein Mensch kann von Joghurt und Wasser leben, davon muss man ja verrückt werden.« Nichts rührte sich.
    Träume sind nicht dafür geschaffen, dass man sich an sie erinnert. Wir haben nicht die Anlagen oder Fähigkeiten, um sie zu konservieren, und die Natur kümmert es nicht, ob sie uns erhalten bleiben oder nicht. Wie alle Gedanken im Dunklen kommen sie, um schon bald wieder vergessen zu werden.
    »Fast wäre alles ganz anders gekommen.«
    Ich öffnete die Augen und sie saß am Gitter, Taschenlampe und Pistole auf dem Schoß wie ein Polizist in einem Fernsehkrimi. Sie richtete die Waffe auf meinen Kopf und nahm mich ins Visier.
    »Hör auf, mit diesem Ding auf mich zu zielen«, sagte ich.
    »Tut mir leid. Ich versuche, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, außer dich umzubringen. Ich kann dich schließlich nicht ewig hier festhalten.«
    »Butterfly, warum kannst du nicht einfach die Aussicht auf ein möglicherweise glückliches Leben akzeptieren? Das hast du in Wirklichkeit überhaupt nie gewollt, gib’s doch zu.«
    »So ist das Leben nun mal nicht«, erwiderte sie.
    »Vielleicht doch. Du könntest dich dafür entscheiden, dass es gut wird. Ich sage ja nicht, dass es einfach wird, aber du könntest es dir immerhin zum Ziel setzen.«
    »Dafür ist es zu spät. So was hätten sie mir beibringen müssen, als ich noch ein Kind war. Ich kann nicht einfach nach da oben zurückgehen und meine Vergangenheit ändern. Ich bin eine Gefahr für mich und andere. Aber ich kann dich auch nicht hier festhalten, da hast du recht. Und dabei wäre alles fast ganz anders gekommen.«
    »Inwiefern?«
    »Du bist noch ein zweites Mal in meine Wohnung gegangen. Eigentlich hättest du nur den Laptop holen sollen, was du ja auch getan hast, aber danach bist du noch mal da gewesen. Warum hast du das gemacht?«
    »Tut mir leid. Ich hatte das Ladekabel vergessen«, antwortete ich. »Für den Laptop. Er hat sich nicht einschalten lassen. Ich musste noch mal zurück.«
    »Oh Mann! Verdammte Scheiße! Jetzt kapiere ich das. Das hätte fast alles verändert.«
    »Wieso?«
    »Weil ich da war.«
    »Nein, warst du nicht.«
    »Doch. Ich war da, um zu packen, und dann habe ich geduscht, ein paar Sachen in eine Tasche geworfen und befand mich gerade in einem eher unbekleideten Zustand, als ich deine Stimme vor der Tür gehört habe. Keine Ahnung, mit wem du geredet hast. Ich bin in Panik geraten, habe mir die Tasche geschnappt und mich im Kleiderschrank versteckt und da kamst du auch schon rein. Um ein Haar hättest du mich gefunden. Du standest nur ein paar Zentimeter von mir entfernt und hast mit irgendjemandem geredet.«
    »Es war niemand bei mir.«
    »Doch, ich habe euch reden hören.«
    »Den anderen konntest du gar nicht hören, weil er nicht sprechen kann.«
    »Du hast doch gerade gesagt, es wäre niemand bei dir gewesen.«
    »Stimmt ja auch. Es war eine Katze.«
    »Wieso hattest du eine Katze dabei?«
    »Hör zu, es gibt da etwas, das du über mich nicht weißt.«
    »Was?«, herrschte Butterfly mich vor Aufregung an.
    »Ich habe eine imaginäre Katze.«
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Du lügst.«
    »Schön wär’s.«
    »Hattest du die schon immer?«
    »Nein. Erst seit, ich weiß nicht, vielleicht acht oder zehn Jahren?«
    »Wieso hast du denn eine imaginäre Katze?«
    »Das ist eine lange Geschichte, aber im Grunde kann jeder eine haben.«
    »Wie das denn?«
    »Du brauchst nur an eine Katze zu denken.«
    »Das tue ich gerade.«
    »Siehst du. Ungefähr so sieht Cat aus.«
    »Sie heißt Cat?«
    »Er. Ja.«
    »Du bist echt ein totaler Freak, Ben Constable! Ich liebe dich!«
    »Danke. Da wir gerade von Freaks sprechen: Wie sieht’s denn inzwischen mit dir aus? Ich würde gern langsam mal nach Hause und
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