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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Autoren: Benjamin Constable
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Unterhaltung intensiver geworden ist und wir, vorsichtig, um nicht die Kaffeetassen umzustoßen – oder, besser noch, die Weingläser –, die Ellbogen auf den Tisch stützen. Und warum, fragst du dich vielleicht, ist der Brief getippt und nicht handgeschrieben (was persönlicher wäre), in kunstvoll geschwungener Schönschrift?
    Ich bin sicher, dir ist zumindest kurz durch den Kopf gegangen, dass die Mühe, die es erfordert, einen Brief zu schreiben und ihn auf den Weg zu schicken, auf einen bedeutenswerteren Anlass hinweist als lediglich auf den Versuch, mir in einer schlaflosen Nacht die Zeit zu vertreiben, auf einen dringlicheren Inhalt als den Wunsch, dir mit einem Beweis dafür zu schmeicheln, dass ich gerade an dich gedacht habe.
    Doch unterschätzt du dabei nicht das Gefühl echten Papiers unter den Fingern, Ben Constable? Kann es nicht sein, dass ich diese Zeilen rein um des sinnesübergreifenden Erlebnisses willen verfasse, um mich den Wonnen geschriebener Worte hinzugeben oder schlicht um der tausendjährigen, nein, Tausende von Jahren alten Tradition des Briefeschreibens willen?
    Aber natürlich hast du recht; es gibt eine andere Erklärung, obwohl ich sie dir nur widerstrebend liefere, denn ich weiß, dass sie dir nicht gefallen wird. Ach, hätte ich doch etwas Fröhlicheres zu verkünden, könnte ich dich mit hübschen Metaphern überhäufen und in Staunen versetzen. Doch ich fürchte, solch eine Art von Brief ist dies nicht, und ich verstricke mich schon jetzt in meinen eigenen Worten, sobald ich auch nur versuche, sie zu verwässern oder mit Honig zu überziehen. Ich wünschte, ich könnte dir ein Lächeln entlocken, trotz dessen, was ich dir zu sagen habe.
    Nachdem nun die schlimmsten Vorahnungen geweckt sein müssen, sollte ich nicht länger vor dem Wesentlichen zurückscheuen. Dieses aber sitzt irgendwo zwischen dem Kloß in meinem Hals und meinen zitternden Fingern fest. Wenn ich es nur lange genug ignorieren könnte, würde es sich vielleicht einfach auflösen oder wie ein böser Traum in die Erinnerung herabsinken. Doch leider wird es so schnell wohl nicht verblassen.
    Ach, wie schlimm kann es denn schon werden? Wir sind kein Paar, also kann ich mich nicht von dir trennen wollen. Ich bin nicht deine Vorgesetzte, also kannst du nicht gefeuert werden. Du hast nichts falsch gemacht, du hast mich nie verletzt, ich bin nicht wütend auf dich, ich liebe dich (was übrigens auch nicht der wesentliche Punkt ist. Ich bin nicht im Begriff, mich dir in einem Ausbruch entwürdigender Theatralik zu Füßen zu werfen und dich anzuflehen, dass wir unsere jämmerliche Existenz in stumpfsinniger Eintracht fristen, um in den Armen des anderen alt und gebrechlich zu werden).
    Und sosehr ich den Grund meines Schreibens auch mit sinnlosem Geschwafel zu verschleiern suche, desto deutlicher wird doch, dass dies alles nur ein Behelf ist, um das Unvermeidliche aufzuschieben. Wie du weißt, bereitet es mir seit jeher ein geradezu schamloses Vergnügen, wesentliche Punkte jeglicher Art zu umschiffen. Der Punkt ist oft ein Leckerbissen, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss, die Vorfreude darauf eine süße Qual, während er sich mit aufreizender Langsamkeit seinen Weg an die Oberfläche bahnt, jede Verzögerung die Ungeduld nur noch schürt und das Glücksgefühl in immer größere Höhen treibt.
    Dennoch, was ich zu sagen habe, ist wichtig und birgt leider wenig Grund zur Freude. (Am Rande bemerkt: Diese Art, niemals auf den Punkt zu kommen, spiegelt auf gewisse Weise unsere Freundschaft wider. Keinem von uns beiden ist der ewige Strom von Gesprächen fremd, der sich durch Auen schlängelt, auf ebenem Gelände träge vor sich hin plätschert, über Felsen hüpft, in tiefen Becken zur Ruhe kommt oder sich zu schäumenden Wirbeln und den unwahrscheinlichsten Stromschnellen formt, und das alles, weil das eigentliche Vergnügen in der Reise selbst liegt und die Mündung ins Meer ihr Ende signalisiert. Möglicherweise haben wir uns der Illusion hingegeben, dass unsere Zeit nie zur Neige gehen, dieser Fluss nie versiegen, die Langeweile uns nie heimsuchen würde, so als könnte die Randbemerkung endlos weiterlaufen, als müsste die Klammer nie geschlossen, der Eröffnungssatz nie zu Ende geführt werden, auf dass der wesentliche Punkt in einem anderen, nicht näher definierten Moment in der Ewigkeit zu klären bleibe und selbst dieser Satz mit einer Ellipse ende … Ich habe sogar das Gefühl, wir hätten es
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