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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Autoren: Benjamin Constable
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oder dass ich die Pflanzen im Blumenkasten vor meinem Fenster aufzählen sollte. Ja, der Blumenkasten, wieder so ein außergewöhnlicher Garten – ein grüner Fleck, an dem ich verweilen kann. Ach, oder habe ich dir erzählt, dass … Und habe ich dir erzählt, wie …?
    Es ist zwanzig nach drei (immer noch) und mir bleibt noch ein wenig Zeit, doch ich muss jetzt aufhören.
    Ben Constable, dir stehen große Abenteuer bevor und es tut mir leid, dass du nie die Gelegenheit haben wirst, mir davon zu erzählen, und dass wir nicht mehr bis spät in die Nacht trinken und im Regen spazieren gehen und unter Bäumen in kleinen kopfsteingepflasterten Straßen Schutz suchen und an unserem Geheimplatz sitzen und rauchen können.
    Du fehlst mir jetzt schon.
    Leb wohl,
Butterfly X O X O X
    Freitage bringen mich zum Lächeln. Wenn ich mir vor dem Nachhauseweg die Woche von den Händen wasche, ertappe ich mich im Spiegel beim Lachen. Ich liebe das Wochenende mit all seinen Überraschungen, die wie aus dem Nichts über einen hereinbrechen. Ich rufe den anderen einen Abschiedsgruß zu und mache mich auf den Weg, die Straße entlang, dann hüpfe ich die Rolltreppen zur Metro hinunter. Ich lasse anderen Leuten den Vortritt und helfe einer Frau auf der Treppe mit ihren schweren Einkaufstüten, ein Bettler bekommt mein Kleingeld und ich biete einem Fremden meinen Sitzplatz an. Im Stehen lehne ich mich an die Seitenwand des Waggons und überlege, ob ich mein Buch herausholen soll, doch ich beobachte lieber die ein- und aussteigenden Leute und lausche den zusammenhanglosen Fragmenten ihrer Gespräche.
    In meiner Hosentasche klingelte mein Handy.
    »Et alors?« Wenn ein Gespräch an einem Freitag so beginnt, dann bedeutet es: Und, hattest du eine gute Woche?, und es bedeutet: Und, wollen wir jetzt einen draufmachen? Heute Abend, so erfuhr ich, würden wir (ein paar Freunde und ich) essen gehen und danach auf eine Party – mit Musik und Tanz und lauter Leuten, die keiner von uns kannte. Das Treffen war für halb acht angesetzt, zum Aperitif, sodass wir schon ein bisschen angeheitert im Restaurant ankommen würden, um dort unter viel Gelächter über Politik und Kunst zu diskutieren. Mir blieb also noch genug Zeit, in aller Ruhe nach Hause zu gehen, eine kleine Siesta zu halten, zu duschen, danach, während ich mich fertig machte, Musik zu hören, irgendeine Kleinigkeit, die mir gerade durch den Kopf ging und keinen Aufschub duldete, im Internet nachzugucken, und mich dann, etwa gegen neun, zu den anderen zu gesellen. Das Zuspätkommen ist für mich keine besondere Masche oder so was; ich gebe in meinem Leben nur gern selbst das Tempo vor. Hektik ist nicht so mein Ding. Heute war ich, aus keinem bestimmten Grund, ziemlich zufrieden. Aber das ist auch nichts Außergewöhnliches.
    Als ich nach Hause kam, wartete ich auf den Aufzug, und während er sich die sechs Stockwerke hinaufquälte, zappelten meine Finger ungeduldig in meinen Hosentaschen. Ich inspizierte meine Zunge im Spiegel, denn dazu sind Spiegel in Aufzügen schließlich da.
    Im Flur vor meiner Wohnung saß Cat, was mich überraschte, denn normalerweise ist er nicht darauf angewiesen, dass ich ihm irgendwelche Türen öffne.
    »Hallo, Cat, was machst du denn hier?«, sagte ich zu mir selbst und musterte ihn, während ich aufschloss. »Wenn du schlechte Nachrichten bringst, dann will ich sie nicht hören.« Er stand auf und strich mir um die Beine und plötzlich wurde mir mulmig zumute, denn Cat besucht mich eigentlich nie ohne guten Grund.
    Als ich die Tür aufdrückte, hörte ich das Schaben von Holz auf Papier – jemand musste etwas unter meiner Tür durchgeschoben haben. Cat lief an mir vorbei und stolzierte in die Wohnung wie ein Monarch in sein Königreich. Ich bückte mich indessen, um einen dicken Umschlag aufzuheben, auf dem in einer krakeligen Handschrift, die ich sofort erkannte, mein Name stand. Der Brief war von Tomomi Ishikawa (auch Butterfly genannt), obwohl ich keine Ahnung hatte, warum sie mir hätte schreiben und dann extra zu meiner Wohnung kommen und den Brief unter meiner Tür durchschieben sollen, während ich nicht da war. Aber Butterfly war eben immer für eine Überraschung gut.
    Ich hängte meinen Mantel auf, ging ins Schlafzimmer und warf mich aufs Bett. Dann kickte ich meine Schuhe von den Füßen und spielte eine Weile mit dem Umschlag herum, bevor ich ihn schließlich aufriss und einen Stapel getippter Seiten herauszog.
    Cat sprang neben mir aufs Bett
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