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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport
Autoren: Cathleen Schine
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»Darauf könnt ihr euch verlassen.«
    Und die Schwestern verließen sein Büro, wütend und enttäuscht, aber zumindest beruhigt hinsichtlich des materiellenWohlergehens ihrer Mutter.
    »Hallo, Felicity«, grüßten sie mit gezwungener Heiterkeit die attraktive Vizechefin, der die zunehmend erfolgreichere Online-Strategie des Unternehmens zu verdanken war. Es war ja zwecklos, sich seineVerzweiflung anmerken zu lassen. Vielleicht würde die ganze Sache wieder ins Lot kommen, bevor Felicity und die anderen im Büro etwas davon erfuhren.
    »Na ja, zumindest nehmen sie sich keine Anwälte«, sagte Miranda. »Anwälte sind schmarotzende Aasgeier.«
    »Du vermischst unangenehme biologische Eigenschaften.«
    »Geschmeiß«, äußerte Miranda angewidert. Sie war Literaturagentin und konnte dieVertreter des R echtswesens generell nicht ausstehen, weil sie sich in Angelegenheiten einmischten, die sie nichts angingen – wie zum Beispiel dieVerträge ihrer Autoren. Doch im vergangenen halben Jahr waren ihre Erfahrungen mit Anwälten ganz besonders schmerzhaft gewesen. »Die sollen sich um ihren eigenen Mist kümmern.«
    »Leider gehören Scheidungen zu ihrem Beruf. Bei einigen jedenfalls.«
    Miranda selbst hatte nie eine Scheidung durchlebt. Dies war – was sie selbst genau wusste – lediglich derTatsache zu verdanken, dass sie nie geheiratet hatte. Denn Miranda verliebte sich viel zu oft und zu heftig, um zu heiraten. Sie war verliebt insVerliebtsein. Für diesesVergnügen war sie bereit zu leiden, und sie wollte es nicht opfern. Derzeit war sie in einen glücklosenTageshändler verliebt. Ein wohliger Schauer überlief sie, wenn sie an ihn dachte: Wie er sich spätnachts in ihrem dunklen Schlafzimmer über den Computer beugte, sein gestresstes Gesicht bläulich beleuchtet vom Bildschirm.
    Die Liebe war der Hauptgrund, den sie immer angab als Erklärung für ihren Familienstand. Doch es gab auch noch einen anderen Grund. Sie war immer viel zu beschäftigt, bellte ihrer geplagten Assistentin Befehle zu, flirtete am Telefon mit Verlegern, die sie gewinnen wollte, oder sprach demoralisierten Autoren Mut zu. Miranda war auf ein Genre spezialisiert, das Annie gerne als »beschauliche Schauermemoiren« bezeichnete. Ihre Klienten, die »Schrecklichen Schriftsteller«, wie sie sogar von Miranda genannt wurden, hatten alle irgendetwas gar Schauerliches und Grauenvolles erlebt, etwas, das so schauerlich und grauenvoll gewesen war, dass sie ihre Leidensgeschichte in allen schauerlichen und grauenvollen Einzelheiten schildern mussten. Am Ende gab es immer ein hübsches Wunder, und da niemand wirklich etwas gegen Wunder einwenden konnte, nicht einmal Annie, waren diese Werke ausgesprochen beliebt, und Miranda hatte sich eine erfolgreiche Agentur damit aufgebaut, die sie unentwegt in Atem hielt.
    Bis die Anwälte sich darüber hergemacht haben, dachte sie. »Geschmeiß«, wiederholte Miranda. »Ha! Kein Scheidungsanwalt wird sich jemals an meinem Fleisch gütlich tun.«
    Annie schwieg dazu. Mirandas Abneigung gegen die Ehe war seit jeher ein Zankapfel zwischen ihnen. Annie hatte stets behauptet, dass Miranda einfach zu fantasielos sei, um zu heiraten.
    »Die Ehe ist einfach zu sehr wie ein R oman für dich«, hatte sie einmal zu Miranda gesagt. »Zu unberechenbar, zu sehr von eigenwilligen Figuren bestimmt.«
    Miranda, die sich selbst für eine hoffnungslose R omantikerin hielt, hatte erwidert: »Wieso, in R omanen gibt es doch immer wieder denselben vorhersehbaren Handlungsablauf. Wieso soll das unberechenbar sein?«
    »Weil es vonTemperament, Persönlichkeit, Umständen und Zufällen abhängt. Aber in deinen Büchern und in deinen R omanzen geht es immer darum, die Kontrolle zu verlieren und dann wiederzugewinnen.«
    Bei solchen Äußerungen über Memoiren und Herzensdinge schüttelte Miranda nur den Kopf, betrachtete mitleidig lächelnd ihre unbedarfte ältere Schwester, sann über deren eigentümlicheVorliebe für Kleidung in tristen Farben nach und sagte dann sanft: »Ich möchte frei sein können, Annie. Und ich bin es.«
    An dieser Stelle der Auseinandersetzung pflegten die Schwestern regelmäßig Louisa May Alcott zu zitieren – »Sie liebt Bücher zu sehr. Das hat ihr das Hirn verdreht« – und sich dann anderen Themen zuzuwenden.
    Als Miranda nun neben ihrer Schwester herging, fragte sie sich, ob Josie auch frei sein wollte. Frei von ihr und Annie und natürlich von ihrer Mutter.
    »Es ist ohnehin schon so traurig«,
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