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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport
Autoren: Cathleen Schine
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jenem Frühlingsabend schien noch die Sonne, und die Finken auf den Laternenpfosten trällerten munter.
    Die Empfangsdame war nirgendwo zu sehen, als Annie aus dem Aufzug trat. Felicity, die gerade aus Josephs Büro kam, schien der einzige andere Mensch weit und breit zu sein, und Joseph machte die beiden Frauen miteinander bekannt. Damals hatte Felicity Annie das Angebot mit ihrem Bruder gemacht. Annie fand dieVorstellung zwar aufregend, nahm die Sache aber nicht ernst und vergaß sie wieder. Einen Monat später erhielt sie eine E-Mail von Felicity mit Frederick BarrowsTelefonnummer, E-Mail-Adresse und der Zusage für eine Lesung.
    DieVeranstaltung versprach ein großer Erfolg zu werden. Sie hatten Einladungen verschickt, und hundert Karten waren imVoraus verkauft worden. Frederick Barrow schrieb zwar aufwühlende Bücher, war jedoch selbst der ruhigste Mann, dem Annie jemals begegnet war. Sie tranken noch ein Glas zusammen, um die Lesung zu besprechen; daraus wurde ein gemeinsames Abendessen, und danach nahmen sie noch einen Drink in Bemelman’s Bar. Am späten Abend spazierten sie zusammen die Fifth Avenue entlang, vorbei an den stillen Museen und dem dunklen Central Park. Stundenlang wanderten sie durch die windige Nacht, hielten sich an der Hand und zitierten Shakespeare wie Studenten im ersten Semester.
    Dies war der schönste Abend, den Annie als Bibliothekarin jemals erlebt hatte, und die Stimmung begleitete sie noch wochenlang. Dann wurde Frederick Barrow Mitglied der Bücherei und nutzte sie für seine R echerchen, was zu weiteren gemeinsamen Mahlzeiten und weiterem gemeinsamem Zitieren führte. Auch an diesemTag, an dem die beiden Schwestern ihren Stiefvater im Büro aufgesucht hatten, war Annie abends mit Frederick verabredet.
    »Er sieht toll aus auf seinen Autorenfotos«, bemerkte Miranda.
    »Die sind schon ziemlich alt. Inzwischen sind seine Haare fast weiß. Ich finde, Schriftsteller sollten aktuellere Fotos verbreiten.Wenn er dann irgendwann mal ein neues benutzen will, kriegen die Leser doch einen Schock und denken, er sei schwer krank gewesen.«
    »Ach, Annie.Was du nur immer für Ideen hast.«
    Mirandas Handy gab einen klagendenTon von sich, und Miranda überflog eine SMS, runzelte die Stirn und stieß einen unterdrückten Fluch aus. »Wo lebt er überhaupt?«, fragte sie, während sie eine Nachricht eingab. »Diese Sausäcke.« Sie steckte das Handy weg. »Also?Wo?« Es war ihr wichtig, dass Frederick Barrow in New York lebte.Wenn er in San Francisco wohnte oder an der University of Iowa lehrte, brachte das nichts.
    »Im letzten Jahr war er in Berlin – da hab ich ihn zum ersten Mal kontaktiert.«
    »Oh, Berlin!«Vor Begeisterung über diese Stadt, die Miranda endlos faszinierend fand, vergaß sie einen Moment, dass Frederick ja in der Nähe leben sollte. »Super.«
    »Aber ich glaube, seinen festenWohnsitz hat er in Massachusetts, auf Cape Cod oder so.Wenn er hier ist, wohnt er bei seinen Kindern.«
    Massachusetts war nicht schlecht. Miranda nickte wohlwollend. Während sie in New York an der Barnard studiert hatte, war sie mit einem Studenten aus Harvard liiert gewesen. Es gab eine gute Zugverbindung dorthin. Miranda liebte Züge. Im Zug spürte man die Geschwindigkeit mehr als im Auto oder sogar im Flugzeug. Und das Gefühl von Schnelligkeit war für Miranda beinahe ebenso wichtig wie die Schnelligkeit selbst. Sie langweilte sich leicht und wurde dann ungeduldig, hatte jedoch bemerkt, dass sie alles interessant fand, was von einem Zugfenster eingerahmt war – ganz als seien die hässlichen Ecken und Winkel sterbender Städte Episoden eines aufregenden Lebens. Ihr Harvard-Freund war ihr damals nach kurzer Zeit auf die Nerven gegangen, aber die Zugfahrt war niemals eine Enttäuschung gewesen. Nein, es war tatsächlich nichts dagegen einzuwenden, dass Frederick Barrow in Massachusetts lebte.
    »Aber er sieht auch jetzt noch ziemlich gut aus«, sagte Annie. »Trägt immer schöne alte Tweed-Sakkos.«
    Annie hörte sich ernsthaft und liebevoll an. Miranda schnaubte.
    »Was denn?«, fragte Annie.
    » Ha !«
    »Ach, du spinnst doch.«
    »Aber ich bin nicht blöd«, versetzte Miranda.
    Ein paar Wochen später trafen sich Betty und Joseph zur ersten Scheidungsmediationssitzung, die sonderbarerweise in Chelsea stattfinden sollte.
    »Wie bist du auf diese Frau gekommen?«, erkundigte sich Betty.
    »Durch Empfehlung.«
    »Das ist aber ein ziemlich schäbiges Büro«, flüsterte Betty, während sie
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