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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport
Autoren: Cathleen Schine
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dieserWohnung.War es denn sinnvoll, sich aus seinem eigenen Zuhause vertreiben zu lassen, nur um der R egierung haufenweise Geld in den Rachen zu werfen? Das wäre kein kluger Zug. Und Betty würden die Steuern zu Grunde richten. Ganz und gar nicht schön.
    Und so wurde die Sache beschlossen. Joe würde großzügig sein und dieWohnung behalten.
    Betty war schon einmal verheiratet gewesen, bevor sie JosephWeissmann kennen lernte. Ihr erster Mann war in jungen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und danach war sie mit den beiden kleinen Töchtern, der vierjährigen Annie und der zweijährigen Miranda, allein gewesen. Ein Jahr nach dem Unfall trat Joseph in ihrer aller Leben. Er heiratete Betty, und obwohl die Mädchen in der Küche zu Abend aßen, bevor er von der Arbeit kam, und ihn samstags nie zu Gesicht bekamen, weil er immer ins Büro ging, übernahmen sie seinen Nachnamen, nannten ihn »Josie« und liebten ihn, als sei er ihr leiblicherVater.
    Als Annie von ihrer Mutter amTelefon erfuhr, dass Joseph sich nach fast fünfzig Jahren wegen unüberbrückbarer Differenzen scheiden lassen wollte, riet sie dringend an, dass er seinen Neurologen aufsuchen sollte. Hatte Josie in letzter Zeit über Kopfschmerzen geklagt? Zerstreutheit, Kopfschmerzen, Schwindel: Er musste einen Gehirntumor haben. Erinnerte Betty sich noch an Annies Freund Oliver aus der Schule? Der war daran gestorben. Betty musste unbedingt sofort einen Arzttermin vereinbaren. Der arme Josie.
    »Er hat keinen Gehirntumor«, sagte ihre Mutter. Joseph ging es so gut wie seit Jahren nicht mehr. »Und du weißt, was das bedeutet.«
    Annie akzeptierte schließlich zähneknirschend denTatbestand, den ihre Schwester Miranda in der ersten Sekunde erfasste.
    »Er ist verliebt«, sagte Miranda, als Betty anrief und ihr die Neuigkeiten mitteilte.
    »Ich fürchte, das stimmt«, bestätigte Betty dieVermutung.
    Die beiden Frauen verfielen in Schweigen. Sie glaubten beide an die Liebe. Doch diese Liebe war Ketzerei.
    »Was sagt Annie dazu?«
    »Sie will mit ihm sprechen. Und sie meint, ich soll mir einen Anwalt nehmen.«
    »Einen Anwalt?«, fragte Miranda. »Und was meint Josie?«
    »Er sagt, wir sollen einen Mediator nehmen.«
    »Das kann doch alles nicht wahr sein«, äußerte Miranda.
    Dann beschloss auch sie, mit Josie zu sprechen.
    »Ich habe ein Anrecht auf ein eigenes Leben«, verkündete Joseph, als die beiden Schwestern in seinem Büro auftauchten. Aber in seinen Augen standenTränen. »Ich habe ein R echt darauf, mein Leben so zu gestalten, wie ich will.«
    Die beiden Frauen waren gerührt angesichts dieser Tränen. Und sie pflichteten Joseph beide bei, dass er selbstverständlich ein Anrecht auf sein Leben habe, aber unter folgenden Vorbehalten: Annie erklärte, dass Josie ein Anrecht auf sein bisheriges Leben mit ihrer Mutter habe. Und Miranda, die romantischer veranlagt war, erklärte, dass man zwar sein Leben in der Tat in vollen Zügen genießen solle, dass Josie jedoch sein jetziges Leben für einen Mann seines Alters ausreichend genießen könne.
    »Für mich ist das auch nicht einfach«, erwiderte Joseph und presste die Fäuste auf die Augen wie ein kleines Kind. Die beiden Frauen nahmen ihn in den Arm.
    »Ist doch gut, Josie«, murmelten sie beruhigend, um den Mann im Nadelstreifenanzug zu trösten. Sie hatten ihren Stiefvater noch nie weinen sehen.
    Joseph löste sich von ihnen und sah seine beiden Töchter an, seine »Mädchen«, und ihm fiel auf, dass sie keine Mädchen mehr waren. Miranda mit ihrer temperamentvollen Ausstrahlung und ihren feurigen Augen war so bezaubernd wie eh und je. Sie trug ihr schimmerndes hellbraunes Haar schulterlang, beinahe im selben Stil wie alsTeenager. Doch ein Hauch von Härte und Anstrengung hatte sich in ihre noch immer schönen und jugendlichen Züge gestohlen. Annie dagegen war immer schon zu ernsthaft gewesen, um wirklich jung zu wirken, und ihre dunklen Augen nahmen dieWelt in sich auf, ohne etwas preiszugeben. An ihrem Scheitel bemerkte Joseph nun eine Spur Grau, und sie sah verstört aus.Was konnte er nur für sein trauriges Mädchen tun? Früher, als er noch jünger war, hätte er ihr ein paar Geldscheine in die Hand gedrückt und gesagt, sie solle sich einen neuen Hut kaufen. Er stellte sich ein Samthütchen vor, das kokett schief auf ihrem Kopf saß. Das Bild war so unpassend, dass er Annie am liebsten geschüttelt hätte.
    »Ich werde eurer Mutter gegenüber sehr großzügig sein«, sagte er.
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