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Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft

Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft

Titel: Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
Autoren: Markus Falk;Beckedahl Lüke
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Nachrichtenangebots Spiegel Online avanciert. Sie kennt das Internet bestens, und man kann davon ausgehen, dass sie auf seine Meinungsbildung viel Einfluss nahm. Die SPD stimmte geschlossen für das Gesetz, auch wenn einige ihrer Abgeordneten zuvor öffentlich Skepsis geäußert hatten. Als dann auch noch einige Grünenpolitiker sich bei der Abstimmung enthielten, da war den protestierenden Nutzern klar: Die gewählten Volksvertreter hatten die Kritik weitgehend nicht einmal verstanden. Denn es ging den Protestierenden nicht darum, Verbrecher zu schützen. Sondern um eine gute und eine bessere als die vorgeschlagene Politik, die sie für eine falsche Symbolpolitik »gegen das Internet« hielten.
    Wer nichts zu befürchten hat, hat auch nichts zu verbergen?
    Ursula von der Leyen war nicht die erste Politikerin, die von den Internetnutzern einen Spitznamen erhielt. Lange Zeit unangefochtenes Spitzenfeindbild war der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble: Die von ihm vertretenen Sicherheits- oder, aus anderer Perspektive betrachtet, Überwachungsgesetzeführten dazu, dass Nutzer die sogenannte »Schäublone« entwarfen. Diese bestand aus einem Konterfei des Ministers   – darunter stand: »Stasi 2.0«. Im Straßenbild, bei Demonstrationen, im Internet: Schäuble als staatlicher Oberüberwacher war Ziel der ersten personalisierten Kampagne, die aus dem diffusen Feld der deutschen Netzaktivisten gegen etablierte Politiker geführt wurde. Was hatte zu dieser Dämonisierung des Bundesministers geführt?
    Eigentlich war es sein Amtsvorgänger Otto Schily, der den Protest auslöste. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11.   September 2001 wurden nicht nur in den USA Gesetze zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet, die die schwierige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit deutlich zugunsten der Sicherheitspolitik verschoben. Der frühere Grüne und damalige Sozialdemokrat Schily gehörte zu den Befürwortern einer Idee, die erst viele Jahre später die bundesdeutsche Öffentlichkeit so richtig beschäftigen sollte: Man könnte doch die Kommunikationsverbindungsdaten eines jeden Einzelnen für eine gewisse Zeit speichern, damit im Fall von Terroranschlägen, aber vielleicht auch bei anderen Verbrechen darauf zurückgegriffen werden könnte. Konkret bestand die Idee darin, dass man aufzeichnen und speichern sollte, wer mit wem wann wo per Internet, Telefon und Mobilfunk kommuniziert hat. Die gesamte Kommunikation von Menschen, die innerhalb der Bundesrepublik auf diese Weise miteinander in Kontakt traten, wurde faktisch protokolliert. Dass die Inhalte nicht mitgespeichert werden sollten, lag nur daran: Es war damals schon absehbar, dass dies jegliches Speichervolumen gesprengt und die Kosten ins Unermessliche gesteigert hätte.
    Innenminister Schily ging aber den Umweg über Europa. Das tut die Politik gerne bei unpopulären Entscheidungen, auch weil europäische Regelungen schwer wieder abzuschaffen sind. Otto Schily gehörte zu den treibenden Kräften hinter der E U-Richt linie , der zufolge die Mitgliedsländer verpflichtet wurden, diese Verbindungsdaten zu speichern. Der ehemalige RA F-Anwalt Schily hatte keine besonders hohe Meinung vom Internet und der digitalen Technologie, er sah hier vor allem Gefahren.
    Erst das Bundesverfassungsgericht stellte 2010 fest, dass der Gesetzgeber keineswegs einfach so festlegen dürfe, dass er gernwissen wollen würde, wer wann mit wem wo in Verbindung trat. Das Gesetz wurde für nichtig erklärt, erhobene Daten mussten gelöscht werden. Natürlich könnte man im ersten Moment denken, dass solche Daten unbedenklich sind. Aber Verbindungsdaten sagen eine Menge über unser Leben aus, verraten vieles, was niemanden etwas angeht   – und schon gar nicht verdachtsunabhängig. Dieses Prinzip »Jeder ist verdächtig« stört insbesondere jene, die das Internet nutzen: Wer das Netz in seinen Alltag integriert hat, der nutzt es nicht nur, um »mal« zu kommunizieren. Er organisiert sein Sozialleben, sein Arbeits- wie sein Privatleben mithilfe der neuen Techniken. Er verabredet sich zum Bier per Twitter, schreibt seiner oder seinem Liebsten vielleicht auch mal eine E-Mail . Und das geht niemanden außer den Beteiligten etwas an. Die Abschaffung der Unschuldsvermutung ist für viele die Misstrauenserklärung des Staates gegenüber seinen Bürgern   – alle sind erst einmal verdächtig.
    Als Wolfgang Schäuble, der bereits vor Otto Schily einmal
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