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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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geworden sein, dass sie nach dem Regierungswechsel in Frankreich die europäischen Gipfeltreffen nicht mehr so unangefochten dominieren könne wie zuvor. Zudem demonstrierte die fortdauernde wirtschaftliche Misere in den Krisenländern, dass die Politik des bloßen Sparens allmählich auch an sachliche Grenzen stieß.
    Drei Tage vor dem Showdown in Berlin und Brüssel sprach Merkel vor den Abgeordneten der FDP-Fraktion, um sie auf eine Zustimmung zu Fiskalpakt und dauerhaftem Stabilisierungsfonds einzuschwören. In dieser Sitzung fiel der erstaunlichste Satz, den Merkel im Verlauf der gesamten Schuldenkrise sagte. Er widersprach offenkundigihrem politischen Prinzip, endgültige Festlegungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Merkel sagte, es werde keine Euro-Bonds, also keine kollektive Haftung für Staatsschulden geben, »solange ich lebe«. Ihre Umgebung versuchte hinterher, die Aussage zu relativieren und als Missverständnis darzustellen. Tatsächlich habe sie nur beschrieben, dass es innerhalb der Bundesrepublik selbst nach 63 Jahren noch nicht zu einer gemeinsamen Ausgabe von Länder-Anleihen gekommen sei; deshalb werde sie das wohl auch auf europäischer Ebene nicht mehr erleben.
    Im August flog Merkel nach Peking zu den deutschchinesischen Regierungskonsultationen. Da man dort den Brüsseler Telefonnummern nicht traut, gilt die deutsche Bundeskanzlerin als die wichtigste Ansprechpartnerin in Europa. Und angesichts der chinesischen Exporterfolge verfügt die Volksrepublik über viel Geld, für das sie nach Anlagemöglichkeiten sucht – auch jenseits der Vereinigten Staaten, von denen sich die Führung in Peking nicht zu abhängig machen will. Merkels Gesprächspartner müssen in jenem Sommer sehr deutlich gemacht haben, dass ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ihr Vertrauen in die Staatsanleihen des Kontinents erschüttern würde.
    Auf den beginnenden September fielen schließlich zwei Termine, die ebenfalls dafür sprachen, die Euro-Krise vorerst für beendet zu erklären. Am 6. September fasste die Europäische Zentralbank förmlich den Beschluss, Staatsanleihen der Krisenländer notfalls in unbegrenztem Umfang aufzukaufen und die Gemeinschaftswährung mit allen Mitteln zu verteidigen. Bereits die Ankündigung bewirkteeine rasche Stabilisierung des Zinsniveaus, ohne dass sie zunächst umgesetzt werden musste. Damit war vorläufig ein Ausweg gefunden, der neue Hilfspakete überflüssig machte. Das ersparte der Kanzlerin lästige Debatten und finanziell schwächeren Geberländern wie Italien neue Belastungen, die sie nicht mehr hätten tragen können. Dann billigte das Bundesverfassungsgericht am 12. September den dauerhaften Hilfsfonds ESM. Als die Richter in Karlsruhe ihre Eilentscheidung verkündeten, fiel die innenpolitische Aufregung um das Euro-Thema mit erstaunlicher Geschwindigkeit in sich zusammen.
    Den Kurswechsel, den Merkel vollzog, begleitete ein bemerkenswert plötzlicher Meinungsumschwung in der deutschen Öffentlichkeit. Im ZDF-Politbarometer vom Oktober 2012 befürwortete nun eine knappe Mehrheit von 46 Prozent der Befragten einen Verbleib Griechenlands in der Währungsunion, 45 Prozent sprachen sich dagegen aus. Zwei Monate zuvor hatte das Verhältnis noch bei 31 zu 61 Prozent gelegen. Lediglich ein gutes Jahr war seit der heiß umstrittenen Abstimmung über den erweiterten Rettungsfonds EFSF im Sommer 2011 vergangen, dem Gipfelpunkt der Euro-Skepsis. Nun glaubte nach einer Allensbach-Umfrage nur noch eine Minderheit von 21 Prozent, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union den Deutschen nur Nachteile bringe. Auch Bundestagsabgeordnete der Koalitionsparteien verzeichneten einen starken Rückgang von Protestmails aus der Bevölkerung. Schon im Spätsommer hatte Merkels Umgebung erkennen lassen, die Euro-Krise solle vor Beginn des Bundestagswahljahrs2013 stillgestellt werden. Dass dies wie geplant gelang, wenigstens bis auf weiteres, verlieh den politischen Künsten der Kanzlerin etwas Gespenstisches.
    Mehrere Faktoren spielten zusammen. Spätestens seit der Entscheidung des Verfassungsgerichts waren die europäischen Hilfsbeschlüsse nicht mehr umkehrbar, und Wähler neigen nicht dazu, nach rückwärtsgewandten Argumenten zu entscheiden. Berichte über die Zustände in Griechenland, etwa über Lücken in der medizinischen Versorgung, lösten bei vielen Deutschen einen Mitleidseffekt aus und bestärkten selbst die Skeptiker in dem Eindruck, die deutsche Kanzlerin sei mit
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