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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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die Positionen des konservativen Übervaters preis. Wie könnte man also die neue Linie besser absichern als mit Hilfe des Altbundeskanzlers? So kam es. Merkel lobte in ihrer Rede »Helmut Kohls pro-europäische Haltung«, derJubilar revanchierte sich mit einem »Es lebe Europa!« Das rein Zweckmäßige des Auftritts wurde deutlich, als Merkel und Kohl gemeinsam auf der Bühne standen. Die Nachfolgerin wusste mit dem Greis erkennbar nichts anzufangen. Nach einem quälend langen Augenblick rückte eine rasch herbeigeholte Hilfskraft den Rollstuhl in den richtigen Winkel für das Foto, auf das allein es der Kanzlerin ankam.
    Das Zusammentreffen mit Kohl war ein Höhepunkt der Inszenierung, mit der Merkel ihren Kurswechsel in der Griechenlandpolitik flankierte. Zweieinhalb Jahre lang hatte sie offen gelassen, ob das Land in der Euro-Zone würde bleiben können, und die Antwort vom Fortgang der Reformpolitik abhängig gemacht. Irgendwann im Sommer 2012 muss dann die Entscheidung gefallen sein. Merkel verkündete sie nicht bei einem Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Ende August in Berlin und auch nicht auf der großen Pressekonferenz, die sie traditionsgemäß zum Ende der parlamentarischen Sommerpause gibt (und die ihr diesmal ein besonders freundliches Kommentarecho einbrachte). Sie schaute in den Kalender und erkor den Herbst zum richtigen Zeitpunkt für wohl überlegte Akte symbolischer Politik. Am Tag vor dem Kohl-Jubiläum lud die Unionsfraktion ins Deutsche Theater Berlin zu einer Geburtstagsfeier für den Europäer Wolfgang Schäuble, der vielen als der letzte Konservative von Gewicht in Deutschland galt. »Europa, das wissen wir alle, tragen Sie im Herzen«, lobte Merkel. Zwei Wochen später flog sie zum ersten Mal seit Beginn der Krise nach Athen. Das waren Bilder, die sie zuvor vermieden hatte. Jetzt galten sie ihr als erwünscht.
    Da sie den Kurswechsel symbolisch inszenierte und nicht offiziell verkündete, musste sie ihn nicht begründen. Auf dem Rückweg aus Athen bemühte sie im Flugzeug einen medizinischen Vergleich. Wenn einem ständig der Fuß wehtue, so wurde sie von mitreisenden Journalisten zitiert, könne man eine Amputation für » die beste Lösung« halten. Das sei fast immer ein Trugschluss: Weder könne man hinterher besser laufen noch werde man schmerzfrei leben. Von der Dominotheorie sprach sie bei dieser Gelegenheit nicht, der Befürchtung also, ein Austritt Griechenlands werde die übrigen Krisenländer in neue Schwierigkeiten bringen. Beides sind Argumente, aber es sind keine Begründungen für den Sinneswandel der Kanzlerin ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt.
    Im Sommer 2012 kamen mehrere Dinge zusammen. Kurz vor den Ferien hatte Merkel zum ersten Mal ein europäisches Gipfeltreffen erlebt, das sie zumindest in der Außendarstellung nicht dominierte. Die französische Position vertrat der neu gewählte sozialistische Präsident François Hollande. Italien hatte in Mario Monti nun einen Ministerpräsidenten, den man nicht mehr als unseriös ignorieren konnte wie seinen Vorgänger Silvio Berlusconi. Beide fanden in dem Spanier Mariano Rajoy, dem die maroden Banken des Landes akute Probleme bereiteten, einen natürlichen Verbündeten. Zu Hause saßen die Abgeordneten des Deutschen Bundestags bereit, um unmittelbar nach Merkels Rückkehr über die Gesetze zum dauerhaften Stabilisierungsfonds ESM und den Europäischen Fiskalpakt abzustimmen. Die Kanzlerin musste also fristgerecht mit einem Ergebnis heimkehren.
    Das Ergebnis waren die Beschlüsse zur europäischen Bankenunion. Der europäische Hilfsfonds sollte ermächtigt werden, auf direktem Wege Geld an Krisenbanken zu überweisen, ohne den Umweg über die entsprechenden Staatshaushalte, die andernfalls noch tiefer ins Minus rutschen würden. Im Gegenzug sollte eine europaweite Bankenaufsicht installiert werden. Einzelheiten blieben offen, zum Beispiel die Frage, wann diese Aufsicht ihre Arbeit aufnehmen würde, für welche Institute sie zuständig wäre – und zu welchem Zeitpunkt die in Deutschland kritisch beäugten Hilfen frühestens ausgezahlt würden. Das ließ Spielraum für Interpretationen. Während der Italiener Monti in der Presse vorpreschte und das Ja zu direkten Bankenhilfen in den Mittelpunkt stellte, versuchte Merkel das Ergebnis tags darauf zurechtzurücken und reklamierte für sich den Erfolg, eine funktionierende Aufsicht zur Voraussetzung für Hilfen gemacht zu haben. In jenen Verhandlungen muss Merkel klar
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