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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser
Autoren: Constanze Kurz
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profitiert davon, wenn sich die sozialen Normen in Richtung weniger Datenschutz und hin zu mehr »digitaler Nacktheit« verschieben? Schnell stellt sich bei genauerem Hinsehen heraus, daß die lautesten Beschwörer des »Endes der Privatsphäre« die größten Profiteure dieser propagierten Entwicklung sind. Die Bewertungsmechanismen für Internetfirmen belohnen Innovation vor allem in einem Gebiet: den Nutzern immer mehr Informationen zu entlocken, sie auf den Plattformen zu halten und alle ihre Freunde einzuladen. Entsprechend agieren auch die Betreiber und ihre Eigentümer: Ob Google oder Facebook, gepriesen wird eine Illusion von Freiheit durch Datenfreigiebigkeit. Zum Wohle des Unternehmenswertes werden menschliche Grundnormen wie die Achtung der Privatsphäre oder die Diskretion zerrüttet.
    Und welcher Antrieb steckt hinter der raumgreifenden Speichergier des Staates? Flächendeckend soll unser Kommunikationsverhalten gespeichert werden, mit der vagen Begründung, daß man die Daten ja eventuell mal zur Strafverfolgung benötigen könnte. Durch die biometrische Erkennung macht die Datengier inzwischen nicht mal mehr vor unseren Körpern halt. Die neuen Techniken treten schleichend in unser Leben, wie zum Beispiel die an eine erkennungsdienstliche Behandlung erinnernde Prozedur auf den Meldeämtern, wenn wir einen Paß beantragen. Sie gilt inzwischen fast als selbstverständlich. Auch der Führerschein enthält seit 2008 ein biometrisches Foto. Fragen Sie nicht, warum. Es ist irgendwas mit »Sicherheit«. Damit, daß die politischen Entscheidungsträger, die Minister und Staatssekretäre, die als Verantwortliche die Beschlüsse genehmigt haben, mittlerweile lukrative Aufsichtsrats- und Beraterverträge in der Sicherheitsindustrie haben, hat es natürlich ganz sicher nichts zu tun.
    Wir sind der Versuchung des Versprechens von der immer größeren Effizienz, von der Plan- und Berechenbarkeit, von Sicherheit und Fortschritt erlegen, ohne nachzufragen, ob wir einen adäquaten Gegenwert für die Daten bekommen, mit denen wir kollektiv für die Verheißungen bezahlen. Wir geben Informationen über uns preis – freiwillig und unfreiwillig –, von denen wir nicht einmal ahnen, wie sie in Zukunft verwendet werden. Doch daß die Datenwährung, mit der wir faktisch für all die kostenlosen Internetdienste und auch für das Versprechen von mehr staatlicher Sicherheit bezahlen, uns später noch viel teurer zu stehen kommt, als wir momentan annehmen, ist absehbar. Daten zu speichern und aufzuheben gilt als besser, als sie zu löschen: Man weiß ja nie, wozu sie noch gut sein können. Das digitale Gedächtnis wächst und wächst, ein Ende ist nicht vorgesehen.
    Die gute Nachricht ist, daß wir nicht wehrlos sind gegenüber der Informationsmagie und -gier, daß wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen können und Entwicklungen keineswegs zwangsläufig sind. Es gilt, die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas in eine positive Richtung zu lenken, auch dadurch, daß man sich zuallererst um seine eigene Datensouveränität kümmert. Auch die digitale Zukunft entsteht durch die Summe der vielen kleinen Handlungen, die wir alle jeden Tag tun, lassen, ignorieren oder kritisieren. Erste Anzeichen eines Umschwungs weg von der Herrschaft der Datenfresser sind schon zu beobachten. Die Diskussionen der letzten Jahre über staatliches und privates Datenhorten, über Skandale und Mißbrauch zeigen eine wachsende Sensibilität für Fragen der digitalen Privatheit. Selbst die noch bis vor kurzem als hoffnungslos dem Netz-Exhibitionismus verfallen geglaubte junge Generation beginnt in Scharen, den Wert der Privatsphäre wiederzuentdecken.
    Sich der Bedeutung seiner Privatsphäre bewußt zu werden, darüber nachzudenken, wo die Grenzen sind, was man wirklich für sich behalten will, ist der erste Schritt zur digitalen Mündigkeit. Jeder von uns hat etwas zu verbergen – die Frage ist immer nur, vor wem.
    Wir können uns – als Individuen und als Gemeinschaft – nicht einfach ungesteuert im wilden Strom der Bits und Bytes treiben lassen. Wir sollten bewußt und wohlinformiert auf das Geschehen Einfluß nehmen, denn neue soziale Normen und Regeln sind notwendig. Die ganz private Balance zwischen den Interessen des Individuums und den Möglichkeiten einer vollvernetzten Welt zu finden ist das Ziel.

1. Bezahlen Sie mit Ihren guten Daten
    Der Informationstreibstoff von Google, Facebook & Co.
    Die Währung des Internets sind
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