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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder
Autoren: Greg Bear
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einzige in diesem Fahrstuhl. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, gingen Dickens vom Druck verstopfte Ohren wieder auf.
    SHEVA war weit mehr als eine Krankheit, wie sich inzwischen herausgestellt hatte. Das aktivierte Retrovirus, das nur von Männern in festen Beziehungen verbreitet wurde, diente als genetischer Bote, der komplizierte Instruktionen für eine neue Art von Geburt beförderte. SHEVA infizierte gerade befruchtete menschliche Eizellen, übernahm sie gewissermaßen. Bei den von der Herodes-Grippe ausgelösten Fehlgeburten handelte es sich um Embryonen im Frühstadium, allgemein Zwischentöchter genannt. Sie stellten kaum mehr als spezielle Eierstöcke dar, deren einziger Zweck darin bestand, neue Zygoten, befruchtete Eizellen, nach einem genau vorgegebenen Mutationsmuster zu produzieren. Ohne einen weiteren Geschlechtsverkehr setzten sich die neuen Zygoten in der zweiten Phase fest und überzogen sich mit dünnen Schutzmembranen. Sie überlebten die Austreibung des ersten Embryos und lösten eine erneute Schwangerschaft aus.
    Bei manchen Menschen hatte das Assoziationen an eine Art Jungfrauengeburt ausgelöst.
    Die meisten Embryonen des zweiten Stadiums waren in Schwangerschaften ausgetragen worden, die durchaus normal verlaufen waren. Weltweit waren im Abstand von vier Jahren in zwei großen Schüben drei Millionen dieser neuartigen Kinder geboren worden. Mehr als zweieinhalb Millionen der Säuglinge hatten überlebt. Immer noch hielt der Streit darüber an, wer oder was diese Kinder eigentlich waren: eine krankhafte Mutation? Eine neue Unterart der Spezies Mensch?
    Eine völlig neue Spezies?
    Die einfachen Leute nannten sie schlicht Virus-Kinder.
    »Carla pumpt sie immer noch heraus«, sagte Freedman, als der Fahrstuhl unten ankam. »Allein in den letzten vier Monaten hat sie siebenhundert neue Viren ausgeschüttet. Etwa ein Drittel davon ist infektiös, alles Viren mit einzelsträngiger RNA von negativer Polarität – und mordsmäßig gefährlich.
    Zweiundfünfzig dieser Viren töten Schweine innerhalb von Stunden. Einundneunzig sind für Menschen
    höchstwahrscheinlich tödlich. Und weitere zehn können womöglich Schweine wie Menschen umbringen.« Freedman warf einen Blick über ihre Schulter, um zu sehen, wie Dicken es aufnahm.
    »Ich weiß«, erwiderte er trocken und rieb sich die Hüfte.
    Wenn er mehr als fünfzehn Minuten stand, machte ihm sein Bein zu schaffen. Die Explosion im Weißen Haus, bei der er vor zwölf Jahren ein Auge eingebüßt hatte, war auch für seine Gehbehinderung verantwortlich. Drei Operationen hatten dafür gesorgt, dass er inzwischen wieder ohne Krücken auskam, aber die Schmerzen hatten sie ihm nicht genommen.
    »Immer noch voll informiert, selbst im
    Krebsforschungsinstitut?«, fragte Freedman.
    »Ich versuch’s zumindest.«
    »Gott sei Dank gibt es nur vier Fälle dieser Art.«
    »Wir sind für ihren Zustand verantwortlich.« Er blieb kurz stehen und bückte sich, um seine Wade zu massieren.
    »Mag ja sein, aber Mutter Natur ist trotzdem ganz schön hinterhältig.« Die Hände in die Hüften gestemmt, sah Freedman ihn prüfend an.
    Durch eine kleine Luftschleuse am Ende des Ganges gelangten sie zum Hauptgeschoss, das sich mehr als fünfzehn Meter unter der Erde befand. Eine Aufseherin in adretter grüner Uniform inspizierte ihre Passierscheine und die behördlichen Genehmigungen und verglich sie mit der offiziellen Besucherliste, die in ihrem Computer gespeichert war.
    »Bitte identifizieren Sie sich«, forderte sie Freedman und Dicken auf. Beide richteten die Augen auf Scanner und drückten die Daumen gleichzeitig auf Platten, die mit Sensoren ausgestattet waren. Gleich darauf begleitete eine Krankenpflegerin in grüner Schwesterntracht sie zum Sterilbereich.
    Mrs. Rhine war in einer von zehn unterirdischen Wohnungen untergebracht, von denen gegenwärtig vier belegt waren. Die Wohnungen bildeten den Mittelpunkt einer
    Forschungseinrichtung, die durch so ausgefeilte Sicherheitsvorkehrungen geschützt wurde, wie sie weltweit wohl einmalig waren. Obwohl sich Dickens und Freedmans Treffen mit Mrs. Rhine stets auf den Blickkontakt durch ein mehr als zehn Zentimeter dickes Acrylfenster beschränkten, mussten sie sich vor und nach jedem Gespräch einer Ganzkörperreinigung unterziehen. Ehe sie den Besucher- und Besprechungsraum, der den Blickkontakt ermöglichte, betraten
    – allgemein die innere Station genannt –, mussten sie speziell behandelte Unterwäsche anziehen,
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