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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht
Autoren: Patricia Cornwell
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sie ist sicher, dass es sich um Jean-Baptiste Chandonne handelt - Albert findet.
    Oben an der Treppe bleibt sie wie angewurzelt stehen, umklammert mit Leibeskräften das Geländer, schaut hinunter und betrachtet ihn. Sein Anblick löst in ihrem Kopf Leere aus. Sie schließt die Augen und öffnet sie wieder, weil sie glaubt, dass es nur Einbildung ist. Dann geht sie langsam, eine Stufe nach der anderen, hinunter, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Doch auf halber Strecke muss sie sich setzen und starrt ihn nur weiter an.
    Benton Wesley rührt sich nicht von der Stelle und sieht sie ebenfalls an. Als ihm Tränen in die Augen treten, blinzelt er sie rasch weg.
    »Wer bist du?« Scarpettas Stimme klingt weit entfernt. »Du kannst es nicht sein.«
    »Doch.«
    Sie bricht in Tränen aus.
    »Bitte, komm runter. Oder soll ich raufkommen und dich holen?« Er will sie erst berühren, wenn sie bereit dazu ist. Ebenso wie er selbst.
    Sie erhebt sich und steigt zögernd weiter die Treppe hinunter.
    Als sie ihn erreicht hat, macht sie einen großen Schritt rückwärts. »Also gehörst du auch zu ihnen, du Schwein! Du verdammtes Schwein.« Ihre Stimme zittert so sehr, dass sie kaum einen Ton herausbekommt. »Am besten erschießt du mich jetzt, denn ich weiß, was du die ganze Zeit getrieben hast, während ich dich für tot hielt. Du bist einer von diesen Leuten!« Sie wirft einen Blick auf die Treppe, als stünde dort jemand. »Du gehörst zu ihnen!«
    »Ganz im Gegenteil«, erwidert er.
    Er wühlt in einer Tasche seines Sakkos und fördert ein Stück weißes Papier zu Tage, das er glatt streicht. Es ist ein Umschlag der National Academy of Justice, der aussieht wie die Fotokopie, die Marino ihr gezeigt hat - die Fotokopie des Umschlags, in dem sich Chandonnes Briefe an Marino und sie befunden haben.
    Benton lässt den Umschlag zu Boden flattern, damit sie ihn sehen kann.
    »Nein...«, entgegnet sie.
    »Bitte. Wir müssen miteinander reden.«
    »Du hast Lucy gesagt, wo Rocco ist. Du musstest doch wissen, was sie tun würde!«
    »Dir kann nichts geschehen.«
    »Und du hast dafür gesorgt, dass ich ihn besucht habe. Ich habe ihm nie geschrieben. Der Brief, der angeblich von mir war und in dem ich ihm anbot, ihn aufzusuchen und eine Abmachung zu treffen, stammte von dir.«
    »Ja.«
    »Warum? Warum hast du mir das angetan? Mich gezwungen, diesem Mann, diesem widerwärtigen Geschöpf, gegenüberzusitzen?«
    »Du hast ihn gerade einen Mann genannt. Und damit hast du Recht. Jean-Baptiste Chandonne ist weder ein Ungeheuer noch ein Mythos, sondern ein Mann. Ich wollte, dass du ihn noch einmal siehst, bevor er stirbt, damit du deine Macht zurückeroberst.«
    »Du hattest kein Recht, dich in mein Leben einzumischen und solche Spielchen mit mir zu treiben!«
    »Bereust du, dass du dort warst?«
    Im ersten Moment ist sie sprachlos. Dann erwidert sie: »Du liegst falsch. Er wurde nicht hingerichtet. Er ist geflohen.«
    »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Begegnung mit dir ihm einen Grund geben würde, weiterzuleben. Doch ich hätte es wissen müssen. Psychopathen wie er wollen nicht sterben. Vermutlich habe ich mich von seinem Schuldeingeständnis in Texas - auf das, wie er wusste, die Todesstrafe folgen würde - täuschen lassen. Ich habe fälschlicherweise angenommen, dass er wirklich ...«
    »Du hast dich geirrt«, hält sie ihm wieder vor. »Du hattest offenbar zu viel Zeit und hast angefangen, Gott zu spielen. Und ich weiß nicht, was aus dir geworden ist. Irgendeine Art von ... von ...«
    »Ja, ich habe mich geirrt. Ich bin einem Trugschluss aufgesessen. Und ich bin eine Maschine geworden, Kay.«
    Er spricht ihren Namen aus. Und das erschüttert sie bis ins Mark.
    »Jetzt kann dir niemand mehr etwas tun«, sagt er.
    »Jetzt?«
    »Rocco ist tot. Weldon Winn ist tot. Jay Talley ist tot.«
    »Jay?«
    Benton zuckt zusammen. »Es tut mir Leid, wenn er dir noch etwas bedeutet.«
    »Jay?« Scarpetta versteht die Welt nicht mehr. Ihr ist schwindelig, und sie fühlt sich, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. »Er soll mir etwas bedeuten? Wie das? Weißt du alles?«
    »Mehr als alles«, erwidert er.

124
    Sie haben sich in der Küche an demselben Metzgerblock-Tisch niedergelassen, wo sich Scarpetta an einem Abend, an den sie sich kaum noch erinnern kann, mit Mrs. Guidon unterhalten hat.
    »Ich war zu tief hineingeraten«, sagt Benton. Sie sitzen einander gegenüber.
    »Ich war hier in ihrem Haus, wo sich viele der wichtigsten
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