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Die Company

Die Company

Titel: Die Company
Autoren: Robert Littell
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den Platz um das Parlamentsgebäude, so dass die Soldaten die Konterrevolution, wie manche inzwischen sagten, in geregelte Bahnen lenken mussten. Die Barrikaden wuchsen höher und höher. Studenten mit Motorrädern wurden losgeschickt, um Nachrichten über Truppenbewegungen in der Stadt einzuholen.
    Irgendwann fielen Tessa die Antennen auf dem Dach des Weißen Hauses auf. »Meinst du, die Telefone funktionieren noch?«, fragte sie Leo.
    »Die über Satellit wahrscheinlich schon.«
    »Wenn ich an ein Telefon rankäme, könnte ich meine Redaktion in Washington anrufen und einen aktuellen Lagebericht durchgeben.«
    »Versuchen wir’s«, sagte Leo.
    Sie drängten sich durch die Menge, bis sie zu einem Seiteneingang kamen, der von Veteranen mit Maschinengewehren bewacht wurde. Leo erklärte, dass Tessa eine amerikanische Journalistin sei. Einer der Wächter studierte ihren Presseausweis, dann wurden sie durchgelassen.
    Sie eilten über die Korridore, auf denen hektische Betriebsamkeit herrschte, hoch in den zweiten Stock, wo eine Frau in einem der Räume an einem Faxgerät stand. Nachdem sie ihr Anliegen erläutert hatten, führte die Frau sie in ein kleines Büro mit einem Telefon auf einem Schreibtisch. »Die Leitung funktioniert noch«, sagte sie. »Wenn Sie nach Amerika durchkommen, halten Sie die Leitung offen. Sollten wir angegriffen werden, schließen Sie sich ein und berichten Sie der Welt, was passiert.«
    Die Frau wandte sich zum Fenster und schaute gedankenverloren hinaus. »Ich mag den Sommer nicht besonders«, sagte sie. »Dieser ist keine Ausnahme.« Sie blickte Leo an. »Wie heißen Sie?«
    »Kritzky«, erwiderte er. »Das ist meine Tochter.«
    »Ich heiße Asalia Isanowa Lebowitz. Wir rechnen jeden Augenblick mit einem Angriff. Wir sind knapp an Leuten. Wollen Sie uns unterstützen?«
    »Natürlich.«
    Leo ließ Tessa in dem Büro zurück und ging hinunter in die Eingangshalle, wo eine Kiste mit Waffen und Munition auf dem Boden stand. Er nahm sich eine Kalaschnikow und einen Patronengurt und gesellte sich zu einem beleibten Mann, der mit einer AK-47 in den Händen an der Tür Wache stand.
    »Wissen Sie überhaupt, wie das Ding da funktioniert?«, fragte der Mann.
    »Nicht so richtig«, erwiderte Leo.
    »Ich zeig’s Ihnen.«
     
    In einen Aluminiumklappstuhl gezwängt, eine leere und eine halb volle Flasche Scotch in Reichweite neben sich auf dem Boden, schaute Harvey Torriti von der Dachterrasse aus gemütlich zu, was sich am anderen Flussufer auf den Straßen rund um das Weiße Haus abspielte. Mit einem Fernglas bewaffnet, war er am späten Nachmittag mit dem Aufzug in den neunundzwanzigsten Stock des Hotel Ukraine gefahren und hatte sich die letzte Treppe hochgeschleppt. Moskau war abgekühlt, seit die Sonne am Horizont im Dunst untergetaucht war und die Stadt sich in ein friedliches Lichtermeer verwandelt hatte. Erst als der Zauberer durch das Fernglas geschaut hatte, war ihm die Szene bedrohlicher erschienen. An der Rezeption hatte er nur vage Informationen über die Vorgänge erhalten. Rentner, die gegen die Inflation protestierten, war er beruhigt worden.
    Wenn man den britischen Journalisten in der Halle Glauben schenkte, mussten es an die fünfzigtausend Rentner sein, die sich um das Weiße Haus versammelt hatten und allem Anschein nach die Nacht dort verbringen wollten. Durch das Fernglas konnte Torriti Dutzende von Lagerfeuern erkennen, um die sich die Menschen scharten. Das Licht der Flammen erhellte schattenhafte Gestalten, die Schreibtische und Parkbänke auf die bereits hohen Barrikaden schichteten.
    Torriti genehmigte sich noch einen Drink. Künstlerpech – in einigen Tagen hätte sein gnomenhafter Freund Rappaport wahrscheinlich seinen Vertrag erfüllt und die führenden Köpfe des Aufstandes ausgeschaltet. Ohne Verschwörer kein Putsch. Der Zauberer fragte sich, was sie bewogen haben mochte, den Tag X nach vorn zu verlegen. Das würde er wohl nie erfahren. Egal – manchmal gewann man, manchmal verlor man, am Ende glich sich das halbwegs aus.
    Er hob das Fernglas wieder an die rot geränderten Augen. In der Nähe des Kreml, in den Lenin-Hügeln, schlängelten sich auf den breiteren Straßen lange Reihen von abgedunkelten Scheinwerfern in die eine oder andere Richtung. »Panzer«, murmelte der Zauberer vor sich hin. Er fragte sich, wo Leo Kritzky in diesem Augenblick war. Vermutlich hatte er sich in seiner Wohnung eingeschlossen, um den Sturm vorbeiziehen zu lassen. Plötzlich schoss
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