Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
ihr Doktor Dexter gegeben hatte. Er untersuchte sie noch einmal und erklärte Janice, unsere Tochter habe sich eine rasch nekrotisierende bakterielle Ohrinfektion zugezogen, möglicherweise beim Schwimmen am Strand. Er melde seit fast einem Monat verstärktes Auftreten von E. Coli und einem Dutzend anderer Mikroben, aber die Gesundheitsbehörden würden nicht reagieren, vielleicht weil die C-Pro-Fischfarmen ihre Muskeln spielen ließen.
    Er verabreichte Kaitlin eine massive Dosis Fluorchinolone und rief die Botschaft in Bangkok an. Die Botschaft schickte einen Ambulanz-Hubschrauber und kümmerte sich um einen Platz im amerikanischen Krankenhaus.
    Janice wollte ohne mich nicht fort. Sie rief wiederholt in der Hütte an und hinterließ, als das nichts half, ihre Nummer bei unserem Vermieter und ein paar Freunden, die ihr Mitgefühl bekundeten, mich aber seit Stunden nicht gesehen hatten.
    Doktor Dexter sedierte Kaitlin, derweil Janice zur Hütte eilte, um ein paar Sachen zu packen. Als sie zur Klinik zurückkam, wartete der Hubschrauber bereits.
    Sie erklärte Doktor Dexter, ich sei bestimmt nach Einbruch der Dunkelheit erreichbar, wahrscheinlich im Partyzelt. Wenn ich mich meldete, sollte er mir die Nummer des Krankenhauses geben; ich könnte dann Vorkehrungen treffen, um nachzukommen.
    Dann hob der Hubschrauber ab. Janice nahm selbst ein Beruhigungsmittel, während ein Trio von Sanitätern noch mehr Breitband-Antibiotika in Kaitlins Kreislauf pumpte.
    Sie müssen schon ziemlich hoch über der Bucht gewesen sein, als Janice aus der Vogelperspektive die Ursache für all das sah – die Kristallsäule, die wie eine unbeantwortbare Frage über dem üppig grünen Vorgebirge hing.
     
    Der Schmugglerpfad entließ uns mitten in ein Nest thailändischer Militärpolizei.
    Hitch machte den tapferen Versuch, mit eingeschlagenem Lenker zurückzusetzen und so den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, doch es gab nur einen Ausweg und der lief sich tot, wie wir wussten. Als eine Kugel die Erde neben dem Vorderrad aufwirbelte, bremste Hitch und stellte den Motor ab.
    Wir mussten uns hinknien, die Hände in den Nacken legen. Ein Soldat kam herüber und setzte erst Hitch, dann mir die Pistole an die Schläfe. Er sagte etwas, das ich nicht verstand; seine Kameraden lachten.
    Ein paar Minuten später saßen wir in einem Militär-Lkw, bewacht von vier bewaffneten Männern, die kein Englisch konnten oder zumindest so taten. Ich fragte mich, wie viel Schmuggelware Hitch bei sich trug und ob mich das zum Komplizen oder Mitwisser eines Verbrechens machte, das mit dem Tod bestraft wurde. Doch niemand sagte etwas von Drogen. Sie sagten gar nichts. Dann setzte sich der Wagen mit einem Ruck in Bewegung.
    Wohin wir denn führen, erkundigte ich mich höflich. Der Soldat neben mir – ein Jüngling mit auseinander stehenden Zähnen und gewölbter Brust – zuckte die Achseln und hob in einer flüchtigen Drohgebärde den Gewehrkolben.
    Sie nahmen Hitch die Kamera ab. Er bekam sie nie zurück. Sein Motorrad übrigens auch nicht. Was das anging, handelte das Militär durchaus ökonomisch.
     
    Wir fuhren beinah achtzehn Stunden mit dem Lkw und verbrachten die nächste Nacht in einem Gefängnis in Bangkok, in getrennten Zellen und ohne Verständigungsmöglichkeit. Später erfuhr ich, dass sich ein sogenanntes Lagebewertungsteam von uns informieren lassen wollte (verhört sollten wir werden), und zwar bevor wir mit der Presse reden konnten; folglich hockten wir in unseren Einzelzellen mit einem Eimer als Toilette, während weltweit diverse wohlgekleidete Herren Flüge zum Don Muang Airport buchten. Solche Sachen brauchen Zeit.
    Meine Familie war keine fünf Meilen von hier im Botschaftskrankenhaus, aber das wusste ich nicht. Auch Janice wusste nicht, wie nah wir uns waren.
    Kaitlins Ohr blutete die ganze Nacht.
    Doktor Dexters zweite Diagnose war richtig gewesen. Kaitlin hatte sich mit ominösen und weitgehend resistenten Bakterien infiziert, die ihr Trommelfell so gründlich auflösten – erklärte mir ein Arzt –, als habe ihr jemand ein Fläschchen Säure ins Ohr geschüttet. Hinzu kam, dass in der Zeit, die die Fluorchinolone brauchten, um die Infektion erfolgreich zu bekämpfen, auch Knöchelchen und Nervengewebe ringsherum befallen wurden. Am folgenden Abend stand zweierlei fest:
    Kaitlin war außer Lebensgefahr.
    Und sie würde nie wieder hören können mit diesem Ohr. Im rechten Ohr würde sie zwar ein gewisses Hörvermögen behalten, aber es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher