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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen
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Wanderstiefel, ich aber musste sehen, wie ich mit meinen hohen Turnschuhen zurechtkam.
    Hätten wir dem Pfad weit genug folgen können, wir wären ohne Zweifel zu irgendeinem Drogenversteck gelangt oder einer Drogendestille, vielleicht sogar zur burmesischen Grenze, doch bereits zwanzig Minuten brachten uns nahe genug an das Monument heran – näher wäre gar nicht möglich gewesen.
    Wir waren keine tausend Meter mehr entfernt.
    Wir waren nicht die Ersten, die es aus dieser Nähe zu sehen bekamen. Es blockierte schließlich eine Straße und das schon seit mindestens elf Stunden, vorausgesetzt das Geräusch des »Navy-Jet« letzte Nacht markierte tatsächlich die Ankunft des Artefakts.
    Aber wir gehörten zu den Ersten.
    Hitch machte bei den gestürzten Bäumen Halt. Der hiesige Wald – hauptsächlich Kiefern und ein bisschen wilder Bambus – war in einem radialen Muster rings um die Basis des Monuments kollabiert und die Trümmer begruben den Pfad unter sich. Die Kiefern waren offensichtlich von einer Druckwelle umgelegt worden, Feuer hatte jedenfalls keine Rolle gespielt. Im Gegenteil. Die Blätter des entwurzelten Bambus waren immer noch grün und begannen in der Nachmittagshitze erst vereinzelt zu welken. Alles hier – die Bäume, der Pfad, der Boden an sich – war auffällig kühl. Kalt eigentlich, wenn man die Hand in den Windbruch steckte. Hitch machte mich darauf aufmerksam. Ich tat mich schwer, den Blick von dem Monument zu lösen.
    Hätte ich geahnt, was noch bevorstand, meine Ehrfurcht wäre nicht ganz so groß gewesen. Das hier war – im Lichte dessen, was noch kommen sollte – ein relativ kleines Wunder. Doch ich wusste lediglich, dass ich in ein Ereignis gestolpert war, das unsäglich seltsamer war als alles, was Frank Edwards in den zurückliegenden Ausgaben der Pittsburgh Press aufgedeckt hatte, und ich empfand zweierlei: Angst und eine schwindelnde Hochstimmung.
    Das Monument. Es war erst einmal keine Statue; das heißt, es wies keine menschliche oder tierische Gestalt auf. Es war eine vierkantige Säule, die in einer konischen Spitze gipfelte, alles daran war glatt und abgerundet. Das Material sah wie Glas aus, aber Glas in dieser Größenordnung erschien albern und undenkbar. Es war blau: das tiefe, unergründliche Blau eines Bergsees, irgendwie friedlich und unheilvoll zugleich. Es war nicht durchsichtig, vermittelte aber den Eindruck von Lichtdurchlässigkeit. Von dieser Seite – der nördlichen – trug es weiße, schorfige Flecken: Eis, wie ich erstaunt zur Kenntnis nahm, welches sich an der feuchten Tagesluft bildete. Über dem zerstörten Wald lag feuchter Bodennebel, und der Fuß des Monuments verschwand unter schmelzenden Schneehügeln.
    Das Eis und die unnatürliche Kälte, die vom zerstörten Wald herüberwehte, machten die Szenerie besonders unheimlich. Ich stellte mir vor, der Obelisk wachse wie ein gigantischer Turmalin aus irgendeinem unterirdischen Gletscher… aber so etwas gibt es nur im Traum. Ich sagte das zu Hitch.
    »Dann sind wir eben im Land der Träume, Scotty. Vielleicht in Oz.«
    Noch ein Hubschrauber kam um den Gipfel herum, gottlob zu niedrig. Wir knieten uns zwischen die gestürzten Kiefern, die der kühlen Luft eine erdige Note verliehen. Als der Hubschrauber über dem Gipfel verschwand, tippte Hitch mir auf die Schulter. »Genug gesehen?«
    Ich nickte. Es war natürlich nicht ratsam, länger zu bleiben, auch wenn ein sturer Teil von mir lieber verweilt hätte, bis das Monument einen Sinn ergab oder bis seine eisblauen Tiefen wenigstens eine Spur Normalität preisgaben.
    »Hitch«, sagte ich.
    »Was?«
    »Da ganz unten… sieht das nicht wie eine Inschrift aus?«
    Er kniff die Augen zusammen und widmete dem Obelisken einen letzten angestrengten Blick. Machte ein letztes Foto. »Buchstaben, vielleicht. Kein Englisch. Zu weit weg und näher gehen wir nicht ran.«
    Wir hatten schon zu lange gewartet.
     
    Was ich später – viel später – von Janice erfuhr, war Folgendes:
    Gegen drei Uhr nachmittags hatten Bangkoks Medien von einem amerikanischen Touristen Videoaufnahmen des Monuments bekommen. Bis vier war das halbe Strandvolk der Provinz Chumphon unterwegs, sich dieses Wunder mit eigenen Augen anzusehen und wurde en masse an den Straßensperren abgewiesen. Botschaften wurden unterrichtet; die internationale Presse begann aufzuhorchen.
    Janice blieb bei Kaitlin in der Klinik. Um diese Zeit schrie Kaitlin vor Schmerz, trotz der Schmerzmittel und Antivirale, die
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