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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin
Autoren: Julia Kröhn
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Winterskälte.
    Sophia durchquerte die Zelle und hielt die zuckenden Schultern.
    »So wie dein Schmerz nicht bedeutungsvoll sein soll?«, warf sie milde ein. »Du scheust deine Vergangenheit, schüttelst sie ab und erhoffst dir von mir Beglaubigung, indem auch ich mein Leben nichtig heiße, erhoffst von mir Leugnung, dass es in mir auch anderes gab als nur das Streben nach Wissen. Doch auch wenn es so wäre und alles, was ich schrieb, nur Trugbild eines schwachen Geistes wäre – so reut’s mich nicht. Nicht nur, es geschrieben zu haben, sondern auch, es zu lesen, Wort für Wort, Satz um Satz. Nie wieder will ich es vergessen.«
    Der Griff um die Schultern war fest und beruhigend. Roesias Zittern ließ nach.
    »Sophia...«, ächzte Roesia. »Sophia...«
    »Beruhige deinen Geist!«, sprach diese milde und streichelte der anderen über den Arm. »Und sei nicht verbittert meinetwegen! Wir wollen morgen weitersprechen!«
    Roesia stand lange unbeweglich, so dass es Sophia deuchte, sie hätte ihre Aufforderung nicht gehört. Dann jedoch durchfuhr ein Ruck ihren Körper. Ohne aufzublicken, riss sie sich von Sophia los und trat so weit fort, dass jene sie nicht mehr berühren konnte.
    »Ich werde... beten«, sprach sie leise, den Kopf zu Boden gerichtet, »begleitet Ihr mich in die Krypta?«
    Sophia hob verwundert die Brauen. Weder hatte sie diese Bitte erwartet noch diese sanfte Stimme.
    Sie versuchte Roesia in die Augen zu sehen, doch jene verweigerte ihr den Blick – ganz so, als stünde nur mehr ein Schatten ihrer selbst im Raum, sie selbst aber wäre schon weggetreten.
    »Wenn du willst«, stimmte Sophia verstört zu.
    Noch sonderlicher war, womit Roesia fortfuhr.
    »Habt Ihr mit jemandem über den kleinen Raum gesprochen, der hinter der Krypta liegt – direkt unter dem Altar? Ihr habt ihn erwähnt – im Bericht von jenem Tag, als Ihr von der toten Königin Abschied nahmt.«
    Zumindest klang die Stimme wieder nüchtern, nicht verschwörerisch flüsternd. Roesia beherrschte ihre Züge wieder – nur eine Haarsträhne hatte sich gelöst und war unter dem Schleier hervorgerutscht.
    Sophia überlegte, erneut die Hand zu heben und sie ihr aus der Stirne zu streichen. Doch schon beim Ansatz dieser Regung zuckte Roesia zusammen, und so unterließ sie es.
    »Um jenen kleinen Raum wollen wir uns später kümmern«, sagte Sophia.

Epilog
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
    Sœur Yolanthe erwachte aus der Ohnmacht.
    Als sie die Augen öffnete, wusste sie nicht, wo sie sich befand. Das Licht – wiewohl matt und sanft – stach ihr in die Augen. Eine Stimme schälte sich glockenhell aus dem Rauschen, das in ihrem Kopf brauste.
    »Was... was ist geschehen?«, murmelte sie.
    Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Kehle. Ihr war, als hätte sie Feuer verschluckt, und ihre Stimme war kraftlos, als hätte sie über Stunden geschrieen.
    Aber ich konnte nicht schreien, fiel ihr ein. Roesia hat versucht, mich zu erwürgen... wie die anderen... nur diesmal mit ihren Händen, nicht mit einem Seil aus Hanf...
    Sie schnappte nach Luft und röchelte schwer.
    »Psst«, ertönte wieder die helle Stimme. »Bleibt nur ruhig! Wir sind Euch in die Krypta gefolgt – und dort erblickten wir das Ungeheuerliche. Gott hat unsere Schritte gelenkt, so dass wir eben recht kamen und Euch von Roesia befreiten. Ihre arme Seele ist verwunschen, von einem bösen Dämon beherrscht. Schon ist der Bischof gekommen, um ihn ihr auszutreiben.«
    Yolanthe setzte sich auf und rieb sich die Schläfen. Kurz brandete das Rauschen umso lauter auf – dann schien es langsam zu verebben.
    »Lass mich einen Augenblick alleine – warte oben in der Kapelle auf mich.«
    Erst jetzt, da sich die junge Schwester flink erhob, erkannte sie sie als Sœur Brunisente, die Mesnerin. Sie hatte feine edle Hände, denen man gerne die kostbarsten Gefäße anvertraute, und obendrein ward sie geschätzt für ihre Geschicklichkeit, mit der sie wunderschöne Tischtücher für den Altar bestickte.
    Lächelnd, damit sie sich keine Sorgen um sie machte, blickte Yolanthe ihr nach. Als Brunisente verschwunden war, legte sie alle Kraft darein, aufzustehen und ein zweites Mal des Schwindels im Kopf Herr zu werden. Gottlob verflüchtigte er sich schnell – nur die Schmerzen im Hals blieben. Gewiss würde es einige Tage schwer fallen, zu schlucken und zu sprechen.
    Oh, arme, verirrte, verrückte Roesia!
    Sie war die Mörderin! Sie hatte Sophia und Cathérine, Gret und Eloïse auf dem
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