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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin
Autoren: Julia Kröhn
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Gewissen!
    Was der Bischof für ihre Zukunft anraten würde?
    Yolanthe versuchte, nicht daran zu denken. Auf dass der Schrecken endlich seine Ende fände und das Unheil endgültig vom Damenstift zu Corbeil gewendet wäre, ward von ihr noch eine letzte Tat verlangt.
    Indessen sie sich mit einer Hand an die poröse Mauer stützte, stöberte sie mit der anderen in den Tiefen ihrer dunklen Gewänder. Sie war füllig genug, um in deren Falten die Chronik zu verbergen, die sie in Roesias Zelle gefunden und zu der letzten Aussprache mit ihr mitgebracht hatte.
    Sie war es nun, die darüber verfügen – und gleichsam darüber entscheiden musste.
    Im Schrecken über diesen Fund hatte sie gestern versäumt, darin zu lesen. Auch jetzt richtete sich ihr Trachten nicht danach zu erkunden, was Sophia geschrieben hatte.
    Jener war zugute zu halten, dass sie sich in den letzten Jahren gewandelt hatte und sogar mit Cathérine Versöhnung fand.
    Trotzdem verband Yolanthe mit ihrem Namen vor allem ein großes Misstrauen – von Blanche gesät, der sie über viele Jahre gedient hatte und die voller Groll über sie gesprochen hatte, sie als anmaßend bezeichnet hatte und als hochmütig.
    Nein, von Sophia konnte nichts Gutes kommen. Es war nicht die Zeit, ihre Chronik der Welt zu zeigen. Rasch tastete sie in die dunkle Nische hinter der Krypta, wo lange Jahre die tote Sophia gehockt hatte, suchte nach einem Spalt im Mauerwerk und schob die Schriften hinein. Als sie den Staub aus ihren Haaren schüttelte, war sie stolz auf diese Tat. Behände schritt sie nach oben.
    Dunkel blieb es in der Krypta. Es dauerte eine Weile, ehe ein runder Lichtschein erneut über das Gemäuer floss. Sœur Brunisente folgte ihm, schritt leichtfüßig durch die Krypta und fand ohne Mühen den Spalt in der Mauer, wo Yolanthe die Chronik versteckt hatte. Noch von der Treppe aus, die sie nur vermeintlich hochgestiegen war, hatte sie die andere dabei beobachtet.
    Es war nicht nur die Neugierde, die sie antrieb.
    Gewiss – in den letzten Tagen hatte sie sich eifrig am Getuschel beteiligt, das um Sophia kreiste und um die schrecklichen Morde im Kloster. Sie war jung genug, um anfällig für Klatsch zu sein, und hatte bedauert, nicht viel dazu beitragen zu können, denn sie war erst ins Stift eingetreten, als Sophia bereits verschwunden war, hatte die Unnahbare folglich nie gesehen, nie einen distanzierten Blick geerntet, nie die raue Stimme vernommen, wie viele andere, die solche Begegnungen nun kunstvoll ausschmückten. Einzig durch ihre Entdeckung der toten Eloïse war es auch ihr gelungen, sich hervorzutun und die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. Freilich war dieser Anblick zu grauenhaft gewesen, um gerne darüber zu berichten.
    Brunisente nahm die Chronik an sich und versteckte sie unter dem Umhang.
    Sie wusste, dass sie mit dem Fund erreichen könnte, nicht nur für einige Tage im Mittelpunkt zu stehen, sondern für lange Monate.
    Sie hatte jedoch nicht die Absicht, den Fund zu teilen; sie wollte vielmehr die Chronik lesen.
    Immer schon hatte sie Geschichten geliebt, ob von der Amme erzählt oder später von den Demoiselles ihrer Mutter aus Büchern vorgetragen. Besonders im Winter, wenn einem außerhalb der Kemenate schier der Atem gefror, das Ungeziefer sich kaum aus den Kissen beuteln ließ und auf den kostbaren Truhen eine Rußschicht lag ob des dichten Rauchs, war es der schönste Moment am Tag, wenn das spärliche Licht genutzt wurde, um aus Büchern zu lesen.
    Am liebsten war ihr die Geschichte von Lancelot gewesen, der die schöne Geneviève liebte, sie aber nicht haben konnte. Manchmal träumte Brunisente von einem solch edlen Ritter, auch wenn sie wusste, dass es ihn nicht gab.
    Jene, die unten im Pallas mit dem Vater soffen, waren aufgedunsen, hatten faulige Zähne und litten fortwährend unter Läusen und Flöhen, die ihnen übers Gesicht krabbelten.
    Ihr Vater hatte stets gelacht, wenn sie von diesen Geschichten erzählte, die in Büchern standen. Er konnte seinen Namen schreiben, mehr nicht. Die Schreibkunst, so meinte er, bräuchte man für Briefe und die Wirtschaftsbücher, gewiss aber nicht zur Unterhaltung der Weiber. Freilich müsste man jenen manche Eigenheiten zugestehen – und wenn das Lesen von solcherart Schriften, die man Romane nannte, dazu gehörte, warum dann eben nicht?
    Vielleicht war’s ein brauchbares Mittel, sie bei Laune zu halten.
    Brunisentes Herz klopfte, als sie die Kerze über die Seiten hielt und sich im
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