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Die Chroniken von Blarnia

Die Chroniken von Blarnia

Titel: Die Chroniken von Blarnia
Autoren: Michael Gerber
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entziffern konnte: »1OOOx Bananenschalenextrakt, Eel Pie Island Hotel, um 1966«. Und darunter in krakeliger Schrift: »Achtung: Haut voll rein, Mann.« Während sie das Schild betrachtete, verwandelte sich die Flasche in einen Igel mit einer Melone auf dem Kopf. Vorsichtig setzte Loo ihn auf den Boden.
    »Sue sagt immer, man soll nett zu Tieren sein«, sagte Loo laut, während er davontrippelte und irgendwas auf Französisch sagte. Mit schlechtem Gewissen dachte sie an den armen Grashüpfer, dem Pete letzte Woche die Beine ausgerissen hatte. Sie sah ihn deutlich vor sich, wie er verstümmelt im Staub lag, die Stümpfe schwenkte und für menschliche Ohren un-hörbare Schreie ausstieß. Hätte ich den Igel behalten sollen?, fragte sie sich. Vielleicht konnte sie ihn irgendwann noch gebrauchen. Sie wusste nicht mehr, ob Igel giftig waren oder nicht.
    »Warum bin ich noch mal hier? Ach ja, wegen des Ponys...« Loo ging weiter. »Komm her, kleines Pony...«, rief sie und stellte dabei fest, dass die Finsternis im Innern des Schrankes plötzlich etwas ausgesprochen b-Moll-Haftes hatte.
    Schlagartig wurde ihr klar, dass das, was da ihre Hände und ihr Gesicht streifte, nicht die Naturmaterialien und pseudoviktorianischen Retroklamotten des Swinging London waren, sondern piksige Nadelhölzer. »Boaaaaahh«, sagte Loo. Sie war ganz schön high.
    Über sich glaubte Loo ein Licht zu sehen, in dem ihr vernebelter Verstand eindeutig Gott erkannte. Sie machte kehrt und wollte weglaufen. Wenn Gott auch nur im Entferntesten so war, wie Mum und Dad ihn beschrieben hatten, würde sie ihm nur ungern begegnen. Doch dann stolperte sie, und das gab ihr Zeit nachzudenken. Er ist sowieso überall, und vermutlich weiß er schon von dem Grashüpfer, dachte Loo, also konnte sie ihm ebenso gut hallo sagen.
    Damit bewies Loo, dass sie ein aufgewecktes Mädchen war (mal abgesehen von ihrem brennenden Verlangen, den Löffel abzugeben), denn wann bekommt man schon die Gelegenheit, den Allmächtigen zu treffen? Er reist sehr viel und ist auch unter den günstigsten Umständen nur schwer zu erreichen.
    Loo stapfte in den Schnee hinaus (Schnee?) und fand sich nach zehn Schritten in einem Wald wieder. Erneut verließ sie
    für einen kurzen Moment der Mut, doch dann schaute sie sich um und sah in der Ferne den Lichtstreifen, der durch die offene Schranktür schien. In einem für sie gänzlich untypischen Anfall von Cleverness (den wir guten Gewissens den Drogen zuschreiben können) hatte sie die Schranktür einen winzigen Spalt offen gelassen. (Jedes Kind sollte wissen, dass es sehr dumm ist, sich in einem Schrank einzuschließen, und alle Eltern sollten wissen, dass sie, indem sie Bücher kaufen, in denen derartige Handlungen geschildert werden, automatisch das Recht verlieren, den Autor zu verklagen, der im Übrigen sehr gute Anwälte hat.)
    Beruhigt ging Loo weiter. Nach zehn Minuten wurde ihr klar, dass das Licht nicht Gott, sondern eine ganz ordinäre Verkehrsampel war, die mitten im verschneiten Wald abwechselnd rot, gelb und grün leuchtete. Das zugedröhnte Hirn der Kleinen akzeptierte dies als die natürlichste Sache der Welt. Sie streckte die Hand aus und ergötzte sich an dem kalten Metall. Gerade als sie daran lecken wollte, hörte Loo Schritte.
    Zuerst dachte sie, es wäre ein Pony, das auf den Hinterbeinen lief. Doch als es durch das Schneetreiben näher kam, stellte sie fest, dass es eine noch viel seltsamere Kreatur war: Es schien eine Ziege zu sein, die sich bewegte wie ein Mensch.
    Hatten Mum und Dad ihr nicht eingeschärft, Ziegen seien Geschöpfe des Teufels? Oder verwechselte sie sie mit Schildpattkatzen? Sie rümpfte die Nase. Was auch immer es war, dieses Wesen kam auf jeden Fall aus Frankreich. Das sah man schon am Spitzbärtchen. Aber was hatte es mit den kleinen Hörnern auf sich? Es war der Teufel, ganz klar. Der Teufel trug mehrere Pakete unter dem Arm, vermutlich verdammte Seelen, die für die Hölle bestimmt waren. Loo merkte, dass ihr Drogenrausch sich langsam zu einem Horrortrip entwickelte, doch sie wollte auf keinen Fall durchdrehen. Ich werde mich hinter dieser Ampel verstecken, dachte sie, und ihn mir genauer ansehen.
    Seine Geschäfte und das dichte Schneetreiben nahmen das Wesen so sehr in Anspruch, dass es einfach an Loo vorbeiging. Als es auf ihrer Höhe war, sah Loo etwas, das sie ihr Lebtag nicht vergessen würde: Von vorn war es eine mit wolligem Fell bedeckte Ziege, doch seine gesamte Rückseite war die
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