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Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht

Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht

Titel: Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
Autoren: Thomas Finn
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und sie von den Wegen abbringen. Sie verirrten sich und irgendwann verschluckte sie der Sumpf.
    Kai und seiner Großmutter konnte das natürlich nicht passieren. Sie hatten sich getrocknete Mistelbeeren in die Ohren gestopft, die Kai vor sieben Tagen eigenhändig von einer hundertjährigen Eiche geschnitten hatte. Mistelbeeren brachen die Zaubermacht des Irrlichtgesangs. Auch dabei handelte es sich um ein wohl gehütetes Geheimnis der Irrlichtjäger. Dennoch war das Geschrei furchtbar.
    Kais Großmutter ließ ihr Flötenspiel ausklingen und bedeutete ihrem Enkel mit einem kaum merklichen Nicken, den Lohenfänger in Position zu rücken.
    Das Gerät bestand aus einer langen Rute, die aus dem Holz einer Trauerweide geschnitten war. In vielerlei Hinsicht ähnelte der Lohenfänger einer Angel, nur dass an seinem Ende eine Schnur befestigt war, an der statt eines Hakens eine kupferne Laterne mit offenem Türchen baumelte. Im Innern der Leuchte befand sich kostbarer Bernsteinstaub, den die alte Frau von den Hammaburger Händlern erwarb. Lautlos schwenkte Kai den Lohenfänger Stück für Stück näher an das Irrlicht heran. Solange das Feuermännchen sang, war es abgelenkt. Jetzt galt es, das Wesen in die Falle zu locken. Doch noch immer lief er Gefahr, es durch ein unbedachtes Geräusch zu verschrecken.
    Die offene Laterne war nur noch einen halben Schritt von dem Irrlicht entfernt, als dessen Klagelaut abbrach. Einen Moment lang zuckte es in grellen Gelbtönen, dann stob das Flammenwesen mit einem gierigen Jaulen auf die Laterne zu, schlüpfte hinein und suhlte sich im Bernsteinstaub. Kai spürte ein kurzes Rucken an der Rute und hörte, wie sich der wertvolle Staub unter Knistergeräuschen entzündete.
    »Gut gemacht!« Seine Großmutter erhob sich mit knackenden Gliedern und zwängte sich behände durch das dichte Schilfgras. Mit fliegenden Fingern verriegelte sie das Türchen und hakte die Lampe von der Schnur, um ihren Fang zu begutachten. Sie schien zufrieden.
    Wie erwartet, bemerkte das Irrlicht sie noch nicht einmal. Noch immer hüpfte es verzückt auf dem Bernsteinstaub auf und ab, der bis zu ihrer Heimkehr zu einer gelbbraunen Lache geschmolzen sein würde.
    Kai stand ebenfalls auf und steckte die Rute des Lohenfängers neben sich in den Boden. Endlich konnte er seine Stiefel aus dem Schlamm ziehen.
    »Ich hatte schon befürchtet, du würdest es vertreiben«, brummte seine Großmutter leicht verärgert.
    Also hatte sie seinen kleinen Ausrutscher vorhin doch bemerkt.
    Kai sog geräuschvoll die Moorluft ein. Sie roch nach modrigem Wasser und verrottetem Wurzelwerk.
    »Tut mir Leid«, murmelte er. »Passiert mir nicht wieder.«
    »Na, das will ich hoffen.« Ächzend bahnte sich seine Großmutter einen Weg durch das Schilfdickicht. »Ich gebe es nicht gern zu, aber die Arbeit ist nichts mehr für mich. Sie ermüdet mich von Mal zu Mal mehr. Wir hatten großes Glück und das weißt du.« Kai nickte stumm und musterte seine Großmutter, die im Schein der Laterne älter als sonst wirkte. Das flackernde Irrlicht enthüllte ihr Gesicht, das von Runzeln übersät war. Die gebogene Nase, die unter dem Kopftuch hervorlugte, warf einen Schatten auf ihre Wange, der in scharfem Kontrast zu ihrer blassen Haut stand. Wirklich böse schien sie ihm nicht zu sein.
    »Du wirst schon sehen. Ich fange gleich noch eines«, sagte Kai zuversichtlich. »Ich will doch morgen beim Sternschnuppenfest nicht mit leeren Händen dastehen.« »Das wirst du aber, wenn du dein Temperament nicht zügelst«, seufzte die alte Frau. Als sie beide im Moor nach einem günstigen Versteck Ausschau gehalten hatten, hatte die warme Spätsommersonne noch geschienen. Inzwischen war nur noch schales Abendrot am Horizont auszumachen, das die feinen Nebelschleier, die sich über die Hügel und feuchten Senken des Moors gelegt hatten, in purpurnes Licht tauchte. Bald würde der Vollmond aufgehen. Bestes Irrlichtwetter also. Doch seiner Großmutter schien die Feuchtigkeit mehr auszumachen als früher. Kai bemerkte das nicht zum ersten Mal. Er machte sich Sorgen.
    »Komm Großmutter«, sagte er fröhlicher, als ihm zumute war. »Setz dich neben das Irrlicht und wärm dich bei einem Schluck heißen Tee.«
    Kai half der alten Frau, sich auf einem Baumstamm niederzulassen. Dann griff er zum Gepäck, das sie in einer Bodensenke abgestellt hatten. An seinem Tornister hingen drei weitere Laternen, die sie eigentlich nur der Vorsicht halber mitgenommen hatten. Es musste
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