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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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ist - hier sage ich es, hier leugne ich es -, in stetem Wechsel zwischen Begeisterung und Befremden.
    Als aufmerksamer Leser bemerkt De Sanctis sofort, daß Dante im Paradiso von Unsagbarem sprechen muß, nämlich von einem Reich des Geistes, und daß er somit vor der Frage steht, wie dieses Reich »zur Darstellung gebracht werden kann«. Infolgedessen habe Dante - so De Sanctis -, um das Paradiso künstlerisch zu gestalten, ein menschliches Paradies ersonnen, das dem Verstand und der Vorstellung zugänglich sei. Deshalb versuche er, in der Metapher des Lichts den Anknüpfungspunkt für unsere menschlichen Verstehensmöglichkeiten zu finden. Und hier nun wird De Sanctis zum passionierten Leser dieser Dichtung, in der es keine qualitativen Unterschiede, sondern nur solche der Intensität des Lichtes gebe, und zitiert Scharen von Glanzlichtern, schimmernde Wolken, »klar wie sonnenbestrahlte Diamanten«, selige Geister, die erscheinen »wie ein Bienenschwarm, der Blüten umschwirrt«, Flüsse, aus denen Funken sprühen, Lichter in Form von gleißenden Strömen zwischen zwei Ufern, Selige, die im Dämmer verschwinden »wie etwas Schweres im tiefen Wasser«. Und er notiert, daß, als der Apostel Petrus sich über Papst Bonifaz VIII. erbost (wobei er Rom in Begriffen darstellt, die eher an die Hölle erinnern: »aus meiner Grabesstätte machte er einen Pfuhl / des Blutes und Gestanks«), der ganze Himmel seine Empörung ausdrückt, indem er sich rot verfärbt.
    Aber genügt eine Verfärbung, um menschliche Leidenschaften auszudrücken? Hier zeigt sich De Sanctis als Gefangener seiner eigenen Poetik: »In diesem Strudel von Bewegungen verschwindet die Persönlichkeit ... es gibt keinen Unterschied der Gestalten mehr, sondern gleichsam nur noch ein einziges Gesicht . Dieses Verschwinden der Formen und der Persönlichkeit selbst reduziert das Paradiso auf eine einzige Saite, wenn nicht die Erde in es eindringen würde und mit der Erde andere Formen und
    Leidenschaften . Die Gesänge der Seligen sind inhaltsleer, bloße Stimmen und keine Worte, bloße Musik und keine Dichtung . Alles ist nur ein einziges Wallen von Licht . die Individualität verschwindet im Meer des Seins.« Ein unverzeihlicher Mangel, wenn Dichtung der Ausdruck menschlicher Leidenschaften ist und menschliche Leidenschaft nicht anders als fleischlich sein kann -siehe Paolo und Francesca, die sich am ganzen Leibe zitternd auf den Mund küssen, oder den Horror des »grausigen Mahls«, oder den Verdammten, der Gott das obszöne Fingerzeichen der Feige macht.
    Der ganze Widerspruch, in dem sich De Sanctis verfängt, kommt aus zwei Mißverständnissen: erstens, daß der Versuch, das Göttliche allein durch Intensität von Licht und Farbe darzustellen, eine zwar originelle, aber fast unmögliche Anstrengung Dantes sei, um zu vermenschlichen, was für Menschen nicht faßbar ist; und zweitens, daß es Dichtung nur in der Darstellung von Leidenschaften des Fleisches und Herzens geben könne und daß eine Dichtung des reinen Verstandes oder gar Intellekts nicht möglich sei, da sie in bloßer Musik enden würde. (Hier ließe sich trefflich nicht über den guten De Sanctis, wohl aber den Desanctismus seiner Nachschwätzer spotten, die so gern versichern, daß Bach keine Poesie sei, Chopin dagegen zum Glück schon eher, daß es im Wohltemperierten Klavier und in den GoldbergVariationen nicht um irdische Liebe gehe, während das Regentropfenprelude an George Sand und an die drohende Schwindsucht denken lasse, und das, potztausend, ist wahre Poesie, denn es macht uns weinen.)
    Kommen wir zum ersten Mißverständnis. Kino und Computerspiele legen uns nahe, an das Mittelalter als eine Abfolge von »dunklen« Jahrhunderten zu denken, dunkel nicht im ideologischen Sinne (der dem Kino egal ist), sondern ganz handfest in dunklen Farben und düsteren Schatten. Nichts ist falscher. Die Menschen des Mittelalters lebten zwar in dunklen Umgebungen, in Wäldern, Burgen und engen Räumen, die kaum vom Kaminfeuer erhellt wurden, aber abgesehen davon, daß sie früh schlafen gingen und mehr dem Tag zugetan waren als der Nacht (die den Romantikern so teuer sein sollte), stellte das Mittelalter sich selbst in grellen Farben dar.
    Das Mittelalter identifizierte die Schönheit (außer mit der Proportion) mit dem Licht und den Farben, und diese Farben waren stets reine Grundfarben, eine Symphonie von Rot, Blau, Gold, Silber, Weiß und Grün, ohne Nuancen und ohne Helldunkel, in welcher der
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